Elternsein & Geburt
Bewusst kinderlos
Leserin Ina Lehmann will keine Kinder – und na sowas, sie ist auch ohne ein glücklicher Mensch.
von Ina Lehmann - 23.04.2020
Diesen Text gibt es auch als Audio-Artikel. Zum Hören ans Ende des Artikels scrollen.
"Ich will keine Kinder". Diesen Satz sagte ich zum ersten Mal mit 17 Jahren. So ganz bewusst, so ganz im ernst, so gar nicht als Spaß. Inzwischen bin ich 40 und noch immer fühlt sich dieser Satz für mich richtig an. Was? Warum? Wieso? Ja, ich kenne diese vielen ungläubigen, ja fast schon erschrockenen, Gesichter – gerade bei Frauen und vor allem bei Frauen in meinem Alter. Dann fängt das erklären an, oftmals muss ich mich sogar dafür rechtfertigen. Dann wundere ich mich darüber, dass ich das immer wieder tun muss – schließlich muss sich eine Frau, die gern Kinder hätte auch nicht andauernd erklären. Ist doch seltsam, oder?
Ich versuche es also meistens so:

„Stell dir vor, du hast einfach keine Lust auf Bungee-Jumping. Genau so geht es mir mit Kindern.“ -

Tatsächlich ist es so, dass ich nie einen Kinderwunsch verspürt habe – ich kenne das Gefühl nicht, Mama sein zu wollen. Ist nicht in mir drin, gibt’s nicht, kann ich mich noch so sehr anstrengen und bemühen, die Uhr fängt einfach nicht an zu ticken. Es gab Zeiten, da dachte ich, mit mir stimmt etwas nicht, dass kann doch gar nicht sein, komm schon, du willst es doch irgendwie, musst dich nur anstrengen. Aber so einfach funktioniert das halt nicht. Als mit Mitte dreißig die große Babywelle in meinem Freundeskreis aufkam, dachte ich mir: "Naja wenn alle das jetzt so machen, vielleicht will ich es dann auch, vielleicht macht es ja dann tick tack tick tack tick tack". Aber nichts passierte, es blieb einfach still. Ich wollte es nicht. Die Vorstellung war einfach unvorstellbar.
Ich wähle bewusst eine andere Form der Lebensgestaltung und bin sehr zufrieden damit. Noch besser würde es mir gehen, wenn (zukünftige) Mamas damit auch zufrieden wären und nicht die große Wertungskeule auspacken würden. Ein Beispiel: Ich war mit einer Freundin beim Essen, sie ist Zweifach-Mama. Und plötzlich fällt er, dieser eine Satz, der einfach so auf den Tisch gelegt wird, so ins Brotkörbchen hinein:

„„Ich wünschte du könntest dieses Glück erfahren, wie es ist, Kinder zu haben“.“ -

Boing! Genau in solchen Momenten fällt mir nichts mehr ein. Ich bin es nämlich leid zum 100.000 Mal zu versichern, dass ich wirklich auch glücklich mit meinem Leben bin. Mir fehlt nichts. Ich will es genau so! Dass ich mir ihr Leben auf keinen Fall für mich vorstellen kann, sage ich ihr nicht. Aber solche Sätze entzweien und leider sind einige Freundschaften gerade deswegen auch schon zerbrochen. Viele meiner Freundinnen sagten zwar vor der Schwangerschaft: "Zwischen uns wird sich aber dadurch nichts ändern." Doch leider stimmt das nicht, denn es ändert sich tatsächlich alles. Ohne Kinder ist man nämlich erstmal so ein bisschen raus aus der Sache. Erkannt habe ich das immer an dem Satz: "Wir machen jetzt oft was mit XY, die haben halt auch Kinder im selben Alter“. Das tut schon weh, aber inzwischen weiß ich, dass jeder fürs erste seinen Weg gehen muss. Ich meinen und meine Freundinnen den ihren. Irgendwann trifft man sich wieder, nicht mit allen, aber mit einigen ganz sicher.
Das Lustige an der Sache ist, dass Kinder größtenteils mein Leben bestimmen. Ich arbeite als Sozialpädagogin täglich acht Stunden mit kleinen entwicklungsverzögerten Kindern und ihren Familien zusammen. Ich mag Kinder wirklich richtig gern – auch wenn mir als Kinderlose oft unterstellt wird, dass dem nicht so ist.

„Bewusst keine Kinder kriegen zu wollen, hat viel mit einer großen Freiheits-Liebe zu tun.“ -

Ich habe mich gegen diese riesengroße Verantwortung entschieden und das erleichtert mich sehr. Beim Gedanken daran atme ich tief durch, denn ich bin nur für mich verantwortlich, muss nur mich irgendwie durchs Leben kriegen und jeder weiß, schon das ist gar nicht so leicht. Von daher bewundere ich alle Mamas enorm! Ich könnte und möchte es nicht. Die Frage nach der späten Reue, ja die wird auch oft gestellt und ich kann sie nicht beantworten. Wenn die Tür in zehn Jahren endgültig zufällt, ist sie zu – und vielleicht ist das dann auch gut so.
In Beziehungen war dieses Thema bisher noch kein Problem. Zu Beginn sage ich klar, dass ich eine Frau bin, die keine Kinder möchte. Wenn es für den potentiellen Partner zum Leben dazugehören soll, dann werden sich unsere Wege auch hier schon gleich wieder trennen. Von Anfang an ehrlich zu sein, ist besonders wichtig und tatsächlich war dieses Thema bei mir auch nie ein Trennungsgrund.
Sich klar zu positionieren, wenn es um das Thema Kinderplanung geht, fällt vielen Frauen schwer. Vor kurzer Zeit unterhielt ich mich zufällig mit einer Bekannten, 39 Jahre alt und kinderlos. Sie erzählte mir: "Weißt du, ich finde es so mutig von dir, dass du offen sagst, dass du keine Kinder willst. Ich möchte diesen Satz eigentlich auch ganz klar und deutlich aussprechen, aber ich traue mich nicht. Alle erwarten von mir, dass ich ein Baby haben will – meine Mutter, meine Freundinnen, ja sogar mein Freund. Der Druck ist so groß, dass er mich erdrückt und lähmt."
Genau deshalb wünsche ich mir so sehr, dass gerade wir Frauen uns gegenseitig unterstützen – ganz egal, welche Lebensform wir wählen. Nicht zu bewerten, sondern zu akzeptieren und zu respektieren, kann allen helfen. Wir sollten zusammenhalten und uns nicht argwöhnisch beäugen und zusätzlichen Druck machen. Frauen, die bewusst kinderlos sind, genießen und feiern ihr Leben exakt genau so wie Frauen mit Kindern. Sie haben Ängste und Sorgen, lachen, weinen und lieben genau wie Eltern auch. Lasst uns lieber daran denken, was uns alles vereint und nicht daran, was uns entzweit.
Ach ja, der verletzende Satz meiner Freundin liegt immer noch auf dem Tisch in diesem Brotkörbchen und ist schon ganz schön hart geworden. Ich entsorge ich ihn für uns beide und räume auf. Das ist ein sehr gutes Gefühl.

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