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Ich oute mich hiermit: Hallo, ich bin Alexa und ich habe Angst vorm Autofahren. Danke fürs Klatschen. Vielleicht geht es der ein oder anderen von euch auch so. Ganz bestimmt sogar, denn laut Experten leiden bis zu vier Millionen Menschen in Deutschland unter Fahrangst, der "Amaxophobie". Das Problem betrifft vor allem (aber nicht nur) Frauen, denn in der tradierten Rollenverteilung des Patriarchats fährt meistens Vati den Wagen. Wenn die Frauen nach jahrzehntelanger Fahrpause plötzlich wieder ans Steuer müssen, fehlt ihnen, so wie mir, die Praxis. Dabei zeigen Statistiken, dass Frauen sichere und überlegte Fahrer sind und im Vergleich zu Männern ein geringeres Unfallrisiko haben. Dass ich keine Punkte in Flensburg habe, habe ich allerdings nicht dem Patriarchat zu verdanken, sondern meinem Schissertum.
Es fing total gut an: Die Führerscheinprüfung bestand ich beim ersten Versuch und meine Mutter stellte mir großzügig ihr Auto zu Verfügung. Das ging ein paar Wochen gut, bis ich in einer Tiefgarage eine Wand schrammte und dann einem Bus die Vorfahrt nahm. Es kam niemand zu Schaden, aber mein Selbstbewusstsein bekam eine Delle. Ich fühlte mich der Maschine unter meinem Hintern nicht gewachsen, verlor das Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten und bekam Panik, wenn ich nicht mehr wusste, wie der Scheibenwischer ausging.
Das Gewusel im Straßenverkehr führte dazu, dass ich mich hilflos und bedroht fühlte. Mehr noch: Wenn jemand hupte oder mir einen Vogel zeigte, nahm ich es persönlich. "Ich kann es nicht!", heulte ich, wenn meine Mama mit mir sonntags auf dem Aldi-Parkplatz üben wollte. Ich fuhr ein paar Runden, aber traute mich nie wieder zurück auf die Straße. Es war eine verfahrene Situation.
„Ich gebe zu, dass ich mindestens einen Mann nur gedatet habe, weil er ein Auto hatte.“ -
Ich war jung und wollte ausgehen. In die coolen Clubs in der Stadt kam man aus meinem Heimatdorf nicht mit dem Bus. Außerdem wollte ich Alkohol trinken. Dafür brauchte ich einen Fahrer. Ich stieg auf der Beifahrerseite ein, schaltete die Sitzheizung an und machte es mir in meiner Abhängigkeit bequem.
In Hamburg und Berlin, wo ich später studierte und arbeitete, fuhr ich Fahrrad, Bahn oder Taxi. Dass ich nicht Autofahren konnte, fiel in der Großstadt nicht auf. Ich prahlte mit meinem geringen ökologischen Fußabdruck, bewunderte aber insgeheim meine Freundinnen, die in ihr Auto sprangen und alleine zu Ikea, zum Baden an den See oder sogar in den Urlaub fuhren. Ich brauchte für alle diese Dinge immer einen Mann und wusste zu diesem Zeitpunkt schon nicht mal mehr, wie man eigentlich tankt. Mein Führerschein lag in einer Kommode zwischen Schlüssel, von denen ich vergesse hatte, zu welchem Schloss sie gehörten.
„Als ich raus aufs Land zog, wurde meine fehlende Fahrpraxis plötzlich zu einem Problem.“ -
Ich war als Mutter isoliert und abhängig von einem Chauffeur, denn der Bus fährt nur einmal in der Stunde und Taxis gibt es nicht. Angesichts des Klimawandels will ich nicht zwischen den Zeilen schreiben, dass ich neuerdings mit einer G-Klasse liebäugele, aber mit einem fiebernden Kind acht Kilometer auf dem Fahrrad bis zum nächsten Kinderarzt zu fahren ist einfach scheiße, genauso wie auf dem Kinderwagen die Wasserkästen nach Hause zu schieben oder in einem Lastenfahrrad die fast 80 Jahre alte Mutter zum Bahnhof zu bringen.
Mein Mann Florian sah ein, dass ich Hilfe brauchte, er aber als Partner diese nur bedingt leisten konnte. Fast jeder Versuch, den wir zusammen gestartet hatten, endete in einem Streit. Letztes Jahr schenkte mir deshalb zu meinem Geburtstag nicht die Handtasche, die ich mir gewünscht hatte, sondern Fahrstunden. Kein spezielles Programm für Angsthasen, keine frauenorientierte Fahrschule oder ADAC-Sicherheitstraining: einfach eine stinknormale Fahrschule. Die Angst nahm mir die Luft, gleichzeitig war ich dankbar, dass mir jemand diesen Anstupser gab.
Vor meiner ersten Fahrstunde traute ich mich weder zu trinken noch zu essen, weil ich so nervös war und dauernd über dem Klo hing. Es war eine Mischung aus Lampenfieber, Prüfungs- und Todesangst. Ich band mir die Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zurück, wischte die Kotze von meiner Brille und versuchte mein Innerstes durch tiefes Einatmen und langes Ausatmen zu beruhigen. Gerade in dem Moment, in dem ich einen Rückzieher machen und die Fahrstunde absagen wollte, klingelte es. Mein Fahrlehrer war ein älterer Herr, der mit einem schwarzen Golf GTI mit roten Rallyestreifen an der Seite vor unserem Haus parkte. Angesichts von diesem Geschoss war ich mir sicher, dass wir beide an diesem Tag sterben würden. Ich bekam neben Schwindel und Übelkeit auch noch Augenzucken.
Herr S. verlor keine großen Worte und reichte mir den Schlüssel. Da er ein Fremder war, wollte ich mir meine Angst nicht anmerken lassen. Ich stieg ein, schnallte mich an, stellte mit zitternden Fingern den Sitz und Rückspiegel ein. Er korrigierte mich mit ruhiger Stimme und erklärte, wie ich den Motor starte. „Sie schaffen das“, sagte er. Die 120 längsten Minuten meines Lebens gurkte ich über die brandenburgischen Dörfer, immer geradeaus, hier und da mal durch einen Kreisverkehr und dann zurück. Ich war froh, als es vorbei war und dass niemand sein Leben verloren hatte. Das einzige, das gelitten hatte, war das Handschaltgetriebe, weil ich dauernd im falschen Gang fuhr.
In der zweiten Fahrstunde fuhren wir in die Stadt, nach Brandenburg an der Havel. Ich fühlte mich wie Alicia Keys, die über New York singt. Was für ein Gefühl: Ich! Mit 290 PS unter dem Hintern! Auf einer mehrspurigen Strasse! Wohoooooooo! Auf dem Heimweg schaltete ich das erste Mal seit meiner Prüfung vor 20 Jahren ganz smooth in den fünften Gang und fuhr 100 km/h. Der Fahrlehrer plauderte derweil entspannt von seinen Tomatenpflanzen im Garten und wie er daraus literweise Ketchup kochte. Ich fragte ihn, ob er denn keine Angst habe, wenn ich so über die Landstraße heize. Er fragte zurück: "Angst, wieso? Sie können doch Autofahren." Der Knoten war geplatzt.
„Die Angst war in wenigen Sekunden entstanden und fast genau so schnell wieder verflogen.“ -
Ich hatte es noch nicht mal bemerkt. Rückblickend stellte ich fest, dass mein erster Fahrlehrer es wohl versäumt hatte, mir Selbstvertrauen in Stresssituationen zu vermitteln. Dazu gehört es Fehler zu machen, denn ohne Fehler erlangt man weder eine Erkenntnis, noch eine Routine. Ihm ging es darum möglichst schnell viele Schüler durch die Prüfung zu schleusen, um den guten Ruf seiner Fahrschule zu wahren und für weiterhin ausgebuchte Kurse zu sorgen.
Trotz meiner neu gewonnen Unabhängigkeit bleibt mein ökologischer Fußabdruck vorbildlich, weil ich immer noch viel und gerne mit dem Rad fahre. Das Autofahren bis heute keine Routineangelegenheit für mich. Vor allem das vorausschauende Fahren fällt mir schwer, da ich trotz Automatikgetriebe immer noch zu sehr mit der Maschine und der Straßenverkehrsordnung beschäftigt bin. Übersichtliche Tafeln helfen mir, wenn ich zwischendurch an der Ampel nachgucken muss, wie genau das Schild für absolutes Halteverbot aussieht. Wenn ich an einer Kreuzung nicht weiter weiß, bleibe ich so lange stehen, bis keiner mehr kommt. Und wenn einer hupt? Dann lächele ich und werfe ihm eine Kusshand zu.