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Versteht mich nicht falsch: Ich bin für die Selbstbestimmung der Frau, das Recht auf Abtreibung, die Lohngleichheit und noch mehr Väter in Elternzeit. Die Senkung der Tampon-Steuer, harte Strafen für Gewalttäter und eine Frau als Bundeskanzlerin: Das ist genau mein Beat.
Aber kaum, dass ich zuhause die Tür hinter mir zumache, lebe ich wie in den Fünfzigerjahren. Das bedeutet, dass ich mich um „die Familie und das ganze Gedöns“ (Zitat von Gerhard Schröder nach der gewonnenen Bundestagswahl 1998 vor Parteifreunden über das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) kümmere, während mein Mann die Mülltonne auf die Straße schiebt und am Wochenende die leeren Wasserkästen auffüllt. Er grillt das Fleisch, ich mach den Salat mit Mozzarella-Spießchen und Tomätchen: Stereotypischer geht es nicht.
Meine To-dos beschäftigen mich von morgens um sechs bis abends um neun. Ich arbeite, mache nebenbei die Wäsche, räume die Spülmaschine aus und erziehe unsere Tochter. Ich koordiniere meine Deadlines, Handwerker, Arzttermine sowie Playdates und bastele mit den anderen Kita-Mamas die Weihnachtsdekoration. Ich bin die perfekte Hausfrau, die man auf der Straße mit einer Packung Klopapier unter dem Arm und einer Lauchstange im Rucksack auf dem Fahrrad vorbeidonnern sieht. Es ist nicht so, dass mein Mann ein fauler Sack wäre, der nach Feierabend auf dem Sofa liegt, furzt und Bier trinkt. Er würde mir helfen. Aber ich lasse ihn nicht.
Auf Spiegel Online wurde kürzlich ein, wie ich finde, witzig geschriebener Artikel von Heike Kleen veröffentlicht: In
„Advent, Advent, die Mutter rennt“ beschreibt die Autorin, warum viele Mütter in der Vorweihnachtszeit kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehen. Denn jetzt kommt alles zusammen: Die mentale Dauerbelastung clasht mit den hohen Ansprüchen und der Erwartungshaltung, dass sich Mutti wie immer um alles kümmert.
Als Reaktion auf diesen Artikel gab es jede Menge Leserpost. Einige Frauen schrieben, dass sie sich mit der Rolle als alleinige Familienorganisatorin arrangiert hätten. Das kommt mir bekannt vor. Dabei habe ich keinesfalls resigniert. Ich will gar nicht, dass mein Mann mehr im Haushalt macht. Meiner Meinung nach erfüllt er die Aufgaben nicht schnell und gründlich genug: Die Handtücher sind nicht akkurat gefaltet, auf dem Teppich sind nach dem Staubsaugen immer noch Brötchenkrümel und wieso bekommt unser Kind zum Abendessen ein kaltes Wiener Würstchen auf die Hand und keinen Süßkartoffelstampf mit Avocado und Bio-Spiegelei?
„„Mental Load und Care-Arbeit sind meine Arten von Extremsport.““ -
Ja, ich organisiere, vor allem aber kontrolliere und bemängele ich. Mental Load und Care-Arbeit sind meine Arten von Extremsport. Wenn ich plötzlich nichts zu tun habe, falle ich in ein Loch. Klar, wie viele Mütter nervt mich die Vielzahl meiner Aufgaben, die mir keiner dankt, geschweige denn bezahlt, oft. Ich brülle manchmal rum, um meinen Frust abzulassen. Trotzdem will ich keine einzige Aufgabe abgeben. „Lass, ich mach“ ist ein Satz, den ich andauernd fauche. Ich kann und weiß alles besser. Woher kommt dieser totalitäre Anspruch auf den Projektleiter-Posten, frage ich mich? Im Job bin ich nicht so widerlich perfektionistisch.
Nun, bei uns in der Familie haben immer die Frauen den Laden geschmissen. Mein Großvater ist im Krieg gefallen und mein Vater früh gestorben. Patriarchalische Strukturen sind mir fremd. Ich bin so erzogen worden, dass ich prima ohne Häuptling zurechtkomme. Deshalb fahre ich zuhause nicht den Super-Mommy-Modus: Ich sehe mich eher als Queen of my castle.
Dem neuen Feminismus spielt mein von außen betrachtetes antiquiertes Rollenverständnis nicht in die Karten. Wer von T-Shirts mit der Aufschrift „The Future is female“ oder Trend-Hashtags wie #empowerment inzwischen genervt ist oder glaubt, dass dieses Medienphänomen längst durchgenudelt sei, dem sage ich: Ne, Leute. Der neue Feminismus fängt gerade erst an.
Dieser neue Feminismus muss nicht nur in der Theorie gedacht und als dekorative Parole auf Designer-T-Shirts gedruckt, sondern in der Realität gelebt werden. Vor allem von mir als Frau, Partnerin und Mutter. Nicht, dass ich meiner Mutter oder Oma einen Vorwurf machen will. Gar nicht. Aber es liegt jetzt an mir, meiner Tochter zu zeigen, dass ich und ihr Vater in allen Bereichen unseres Lebens gleichberechtigt – und erwünscht – sind.
„Das Einzige, was Frauen in diesem für sie normalen Wahnsinn helfen kann, ist eine gleichberechtigte Partnerschaft, in der Männer sich nicht als Hilfsarbeiter verstehen, sondern als Mitgestalter“, schreibt auch Heike Kleen auf Spiegel Online. Das ist der so wichtige Unterschied: Mein Mann braucht mir nicht zu helfen. Er soll machen können. Dafür muss ich ihm die Chance geben, eine eigene Lösung zu finden, wie er diese brettharten, weißen Handtücher faltet und welches Abendessen er für unsere Tochter als ausgewogen bewertet. Kinder brauchen ihre Vorbilder live und in Farbe vor sich: Frauen in Führung und Väter in Emotional Labor.
Für Kritiker des Feminismus sieht es oft so aus, als wollten die emanzipierten Frauen der Männerwelt etwas wegnehmen. Tatsächlich liegt es mit der aktuellen Generationenablöse an uns Feministinnen, ihnen etwas zu geben. Zum Beispiel Gestaltungsfreiraum in den Lebensbereichen, die weiblich besetzt sind. Denn was der neue Feminismus vor allem fordert, ist die Toleranz gegenüber Andersartigkeit. Mein Mann macht die Dinge komplett anders als ich und das macht mich irre. Genau aber das muss ich lernen, zu akzeptieren. Das berühmte Rumi-Zitat „Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort. Hier können wir einander begegnen“ ist deshalb mein feministisches Mantra für 2020.