Bücher, Serien & Unterhaltung
Weg mit dem Quatsch
Warum haben Frauen Angst vorm Älterwerden? Brandy Butler erzählt, wie sie sich davon befreit hat.
von Stefanie Luxat - 14.04.2021
Es gibt wenig wirklich gute Bücher übers entspannte Älterwerden. Diese Woche ist eins erschienen, das wir feiern: „Das neue 40“ von Priska Amstutz und Leonie Hof. Viele ganz unterschiedliche Frauen erzählen, was das Älterwerden ihnen Gutes gebracht hat. Sehr lesenswert, sehr beruhigend. So auch diese Geschichte der Aktivistin Brandy Butler, von der ich mir ganz viele Sätze am liebsten groß ausdrucken und aufhängen würde. Viel Freude damit! Herzlich Steffi
Auf Brandy Butler (*1980) wurden wir spätestens aufmerksam, als sie am Zürcher Schauspielhaus in Miranda Julys „Der erste fiese Typ“ die Bühne rockte. Einige Zeit später steht sie als eine der Protagonistinnen der hiesigen Black-Lives-Matter-Bewegung in der Öffentlichkeit. Als politische Aktivistin kämpft sie für die Rechte von LGBTQ, für eine gerechte, vielfältige Welt. Brandy ist aber auch Performance-Künstlerin, Musikerin und Mutter. Sie stammt aus Reading, Pennsylvania, und kam 2003 als Au-pair in die Schweiz.
Wie war es für dich, 40 zu werden? 
Die 40 selbst war kein Thema. Zu diesem Zeitpunkt passierte aber sehr viel bei mir. In den Jahren davor habe ich immer eine große Party geschmissen. Nur nicht an meinem Vierzigsten. In diesem Moment kam nämlich für mich die Frage auf: Was will ich von meinem Leben? Wie will ich das gestalten? Das hatte weniger mit der Zahl zu tun als mit den Erfahrungen, die ich bis dahin gemacht hatte.

„Mir war klar, dass ich reifere, verbindlichere Beziehungen und Freundschaften möchte. Nichts Oberflächliches mehr. “ -

Auch beruflich nicht. An diesem Geburtstag habe ich mich verwandelt. Und ich begann damit, diesen Tag mit den beiden Menschen zu verbringen, die mir am nächsten stehen. Ich fühle mich auch nicht alt. Ich fühle mich frisch. Der Weg zu meinem Ziel ist extrem klar. So klar, wie er lange nicht mehr war.
 Wo führt er dich hin?
In eine Führungsposition innerhalb einer kulturellen Institution. So you can change it from the top down. Ich habe oft genug die Erfahrung gemacht, dass das Verändern der Verhältnisse „von unten aus“ zu anstrengend ist.
Warum haben viele Frauen Angst vorm Älterwerden?
Weil uns das patriarchale System sagt, dass wir nur wertvoll sind, wenn wir jung und schön aussehen. Wenn wir Kinder bekommen können. Davon machen viele Frauen ihren Wert abhängig. Das Alter fühlt sich dann an wie ein Verlust. Man wird von Männern nicht mehr so belohnt – mit Gratis-Drinks, Aufmerksamkeit, Liebe. Ich war da stets außen vor. Ich bin nicht weiß, nicht dünn und ich bin queer. Entsprach also nie dem Schönheitsideal der Gesellschaft. Darum stresst mich das Alter auch nicht. Ich will auch keine Kinder mehr. Mir ist nicht wichtig, ob mich jemand als fruchtbar bewertet. Das macht es einfacher. Dass der Körper älter wird, damit habe ich aber auch Mühe. Wenn ich stundenlang bei den Protesten marschiere, spüre ich das am nächsten Tag.
Und was ist schön an den körperlichen Veränderungen?
Ich fühle mich sehr wohl mit mir. Und genau das ist für mich 40. Für mich ist das das Alter, in dem ich wirklich weiß, wer ich bin. Ich kenne meinen Wert als Mensch und auch den meiner Karriere. Natürlich kann ich immer noch lernen und wachsen. Aber ich weiß, was ich will, und vor allem habe ich die Courage, zu sagen, was ich nicht will. Das hat mir die 40 geschenkt.
Was willst du denn nicht mehr?

„Ich will nie mehr mit jemandem ins Bett gehen, dem meine Befriedigung nicht wichtig ist. “ -

Mit 20 hatte ich keine Ahnung von meiner Lust. Heute bin ich da sehr konsequent. Ich bin ein sexuell freier Mensch, sexpositiv. Ich habe keine Angst, Intimität mit jemandem zu teilen. Ich teile gern Nähe, auch in Freundschaften. Menschen, die als Frau sozialisiert sind, bekommen oft beigebracht, Dinge über sich ergehen zu lassen, die Zähne zusammenzubeißen. Ich fühle mich nicht mehr verpflichtet, meinen Körper anzubieten, um jemand anderem Lust zu bereiten. Ich will auch nie mehr in Jobs arbeiten, wo ich nur genommen werde, weil ich eine gewisse Kultur repräsentiere und damit andere bestätige. Als Schwarze gospelsingende Amerikanerin oder als Backgroundsängerin, damit das Ganze authentisch wirkt. Es gibt Musiker, die explizit Schwarze Backgroundsängerinnen wollen. Da mache ich nicht mehr mit. Ich will nirgendwo arbeiten, wo ich Rassismus, Sexismus oder alle anderen Formen von Diskriminierung erlebe. Das thematisiere ich heute sofort. Ich werde das nie mehr schlucken.
Warst du schon immer so oder hast du das lernen müssen?
Früher war ich unsicher, in der Schule immer die Jüngste, eine Spätzünderin. Mein erstes Mal Sex hatte ich mit 19. Ich war sehr brav, sehr kindlich. Ich konnte nicht immer so für mich einstehen, weil ich nicht so klar war mit mir selbst. Wenn Gegenwind kam, habe ich schnell an mir gezweifelt. Man will ja, dass die Menschen einen gernhaben. Heute weiß ich, wer meine Freund:innen sind und wer ich bin. Meine Welt ist fest verankert. Mit Menschen, die mich lieben, und meiner Liebe für mich selbst. Jetzt kann ich für alles einstehen.
Was würdest du deinem zwanzigjährigen Ich heute sagen?
Das Geheimnis ist, dich selbst zu lieben. Meine Eltern haben mir erlaubt, lange Kind zu bleiben. Darum hat mich das Konzept, Sexualität zu nutzen, um Aufmerksamkeit zu bekommen, sehr verunsichert. Das war mir fremd. Ich bin eine starke Persönlichkeit, habe aber in meinem Leben oft gehört, irgendwo nicht reinzupassen. Ich war oft den Bewertungen anderer Menschen ausgesetzt. Habe immer wieder gespiegelt bekommen, nicht wertvoll zu sein. Dass man ins Raster passen muss, wenn man erfolgreich sein will.
Wie hast du es geschafft, dem zu entkommen?
Durch Therapie. Ganz viel Therapie. Das ist für mich ein wichtiges Reflexionsmittel. Ich habe auch immer wieder schöne Beziehungen gehabt und mich immer wieder selbst gefragt, ob ich glücklich bin mit dem, was ich habe, mit dem, was ich will. Das ist sehr wichtig für mich. Nicht einfach zu akzeptieren, was ist.
Was ist die wichtigste Lektion, die du in den vergangenen Jahren gelernt hast?
Dass ich mich immer wieder abbrenne und wie Phönix aus der Asche auferstehe. Im Moment ist mir wichtig, wie ich Partnerschaften pflege. Ich will eine tiefe Verbundenheit spüren. Vom Vater meiner Tochter lebe ich getrennt. Über die Jahre hatte ich verschiedene Partner:innen, Männer und Frauen. Im Moment bin ich Single mit Liebhaber:innen. Das ist mein Lieblingsmodus. Ich bin frei und doch werden meine Bedürfnisse erfüllt. Seit ich mit Beziehungen angefangen habe, war ich meist mit jemandem zusammen. Gerade bin ich für die längste Zeit meines Erwachsenenlebens Single. Ich bin nicht monogam, meistens habe ich eine:n Bezugspartner:in und verschiedene Liebhaber:innen. Eine Nummer zwei ...
Du führst eine Beziehungsrangliste?
Ich habe es gern ordentlich. Lege meinen „inner circle“ klar fest. Ich entscheide bewusst, mit wem ich meine Zeit verbringe, damit ich nicht ausbrenne. Ich umsorge meine Freund:innen sehr. Aber das, was ich gebe, will ich auch zurückbekommen. Ich will wissen, dass mich jemand sieht, mich liebt, wie ich bin. Ich habe gern Fernbeziehungen, da verbringt man jeweils eine sehr intime Zeit miteinander und hat dann wieder seine Freiheit. Mit jemandem zusammenwohnen will ich nicht mehr. Ich genieße es, allein mit meiner Tochter zu leben und nur auf uns beide achten zu müssen.
Nervt es dich, stets als starke Person angesehen zu werden?
Total. Ich bin nämlich nicht nur stark, sondern auch sehr verletzlich, extrem weich. Darum mache ich gerade eine Pause von der Musik. Wenn ich Musik mache, stehe ich auf der Bühne als dicke, große, amerikanische Schwarze Frau – da ist bei den Leuten im Kopf schon viel gesetzt. Egal, wie weich und verletzlich ich mich zeige, viele wollen, dass ich beim Singen richtig rausfetze. Aber ich will mich nicht einzwängen lassen. Ich will nicht schreien. Und ich muss es auch nicht mehr. Im Theater, wo ich gerade regelmäßig auftrete, sind die Leute eher bereit, ihre Projektionen hinter sich zu lassen.
Was braucht es, damit Frauen ihre innere Stärke finden?

„Das Patriarchat hat uns beigebracht, dass unser Wert immer von außen bestätigt werden muss.“ -

Man muss versuchen, das auszublenden, und seine eigenen Erfahrungen dem entgegensetzen. Was nur durch regelmäßiges Üben geht. Ich habe überall in meiner Wohnung Mantras aufgehängt. Da steht zum Beispiel drauf: „I‘m happy with who I am right now.“ Man muss sich selbst bestärken, nicht zulassen, dass einen die Welt bewertet. Zweitens braucht es die Gesellschaft von Menschen, die sich als Frauen identifizieren und die füreinander einstehen. Wir müssen uns und alle Arten von Frausein unterstützen. Es macht uns stärker, jedem zu erlauben, an dieser Bewegung teilzuhaben.
An welchem Punkt stehst du gerade in deinem Leben?
Bis vor fünf Jahren wusste ich nicht, dass ich hypersensibel bin und ADHS habe. Mittlerweile ist mir klar, woher meine Magenprobleme kamen und warum mich laute Orte überfordern. Ich weiß jetzt, dass ich die Zeichen, die mir mein Körper sendet, respektieren muss. Ich brauche Ruhezeiten, auch ohne mein Kind. Die erlaube ich mir zu nehmen. Heute bin ich selbstbewusst, fühle mich wohl mit mir. Ich höre dann manchmal: „Warum geht es dir so gut mit dir, obwohl du fett bist?“ Gerade weil ich mich trotzdem liebe, egal, ob jemand mich mag oder nicht. Hinter mir liegt so viel Arbeit. Ich bin froh über das, was ich geworden bin.
Niemand kann mir meine Liebe für mich selbst rauben. Nie wieder.
++++
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