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Ist genug Erfolg für jede von uns da? Alexa über Neidgefühle und schlaues Netzwerken.
von Alexa von Heyden - 01.08.2022
Den Text gibt es auch als Audio-Artikel, zum Anhören und Downloaden einfach hier klicken.
Im Herbst erscheint mein neues Buch „Mohn & Regen“. Zu meinen Aufgaben gehört im Vorfeld, dass auch ich mir eine Strategie überlege, wie ich das Buch auf meinen Kanälen charmant vermarkte. Was mache ich? Schiele nach links und rechts und mache mir Sorgen, dass es mein neuestes Werk nicht auf die Bestsellerliste schafft. Im Gegensatz zu den Büchern meiner Kolleg*innen, die in letzter Zeit erschienen sind. Mit unproduktiver Eifersucht verfolge ich ihre Release-Partys, Lesungen in renommierten Buchhandlungen oder eilig nachgelegte Zweitauflagen.
Ich schmolle. Meine Angst: Wenn sie so viel Aufmerksamkeit bekommen – bleibt dann noch genug für mich übrig?
Ich sollte es besser wissen, denn wer hat sowohl einen Artikel über das Impostor-Syndrom als auch über Neid geschrieben? Genau, ich. In dem Moment, in dem ich das Instagram-Profil einer hochgelobten Kollegin stumm schalten will, komme ich ins Grübeln: Warum empfinde ich ihren Erfolg als toxisch für meine eigene Kreativität? Schmälert ihr Höhenflug wirklich die Chancen auf meinen? Kurzum: Wie kann ich erfolgreichen Frauen in meinem Umfeld gelassener begegnen?
Der Stachel der Eifersucht – ich ziehe ihn mir einfach selbst raus. Paradox ist, dass wir tendenziell gerne mit Menschen befreundet sein wollen, die beliebt sind. Oft sind sie sogar beliebter als wir selbst. Das lässt sich auch auf den Erfolg übertragen. Wir finden also genau die Menschen inspirierend, die mehr Erfolg haben als wir. Was wir deshalb brauchen: ein Mindset, das uns hilft, großzügig zu sein, wenn andere das erreichen, was wir uns selbst wünschen.
Für mich ist das ein ganz schön dicker Brocken. Deswegen war ich nicht nur begeistert, sondern erleichtert, als ich von der Shine Theory las. Die US-Autor*innen Aminatou Sow und Ann Friedman haben für genau diesen Moment, in dem ich eine Frau um ihren beruflichen Erfolg beneide, eine grandiose Regel definiert:

„„I don’t shine if you don’t shine.““ -

Übersetzt bedeutet das so viel wie: „Ich kann nicht glänzen, wenn du nicht glänzt.“ Das Freundschaftsparadox wirkt bei Sow und Friedman nicht als Ego-Bremse, sondern Booster: „Dich selbst mit den besten Leuten zu umgeben, lässt dich im Vergleich nicht schlechter aussehen“, erklärt Ann Friedman. „Es macht auch dich besser. Selbstbewusstsein ist ansteckend.“ Ihr Rat ist es, die Arme auszubreiten, statt ins Schneckenhaus zu kriechen: „Wenn du eine Frau triffst, die auf einschüchternde Weise geistreich, stylish, schön ist und beruflich viel erreicht hat, dann freunde dich mit ihr an.“
Sie sprechen aus Erfahrung. Sow und Friedman haben in ihrer eigenen Laufbahn immer wieder erlebt, dass Frauen durch ihre Zusammenarbeit viel mehr erreichen als durch Konkurrenz. Die beiden lernten sich in ihren Zwanzigern bei einer Gossip-Girl-Party kennen und unterstützen einander seit Jahren bei der Jobsuche, Visumsangelegenheiten oder Gehaltsverhandlungen.
Beiden fehlte immer ein Vorbild oder ein*e Mentor*in. Sie wollten aber nicht mehr darauf warten, dass jemand Älteres oder Weiseres ihnen den Weg zeigte. Also berieten sich die Freundinnen gegenseitig. „Wir versicherten einander wieder und wieder, dass es okay sei, mehr zu wollen, mehr zu verlangen und darauf zu beharren, auch wenn wir uns dabei seltsam und unsicher fühlten“, schreiben sie in ihrem Buch „Echte Freundschaft: Wie wir es schaffen, einander nah zu bleiben“. So konnte Ann Friedman bei einem neuen Job nicht nur ein sechsstelliges Gehalt, sondern auch einen Bonus für den Umzug in eine neue Stadt und einen weiteren Bonus für das Jahresziel rausschlagen. Knüller, oder?
Den Höhepunkt ihrer Karriere erlebten die beiden Frauen, als sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit anderen teilten: Zusammen nahmen sie von 2014 bis 2022 einen der erfolgreichsten amerikanischen Podcasts auf: „Call your Girlfriend“ mit mehreren Tausend Zuhörer*innen pro Folge, was daran lag, dass die beiden in ihren Gesprächen klug und witzig über Politik, Arbeit, Feminismus, Kochen oder Mode sprachen. Sie erzählten, wie sie sich stets gegenseitig anspornten zu wachsen und zu besseren Menschen zu werden. Im Februar wurde die letzte Folge ausgespielt, aber die Vision weiblicher Kollaboration hat ihre Gültigkeit nie verloren.
Studien zeigen, dass 63 Prozent der Frauen keine*n Mentor*in in ihrer Karriere haben und sie mit geringerer Wahrscheinlichkeit intern befördert werden als ihre männlichen Kollegen. Kein Wunder, dass allein in Deutschland immer mehr Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Die Zahl der Gründer*innen stieg im vergangenen Jahr dabei überdurchschnittlich stark an, wie die FAZ in ihrer Onlineausgabe berichtet. So gründeten 25 Prozent mehr Frauen ein Unternehmen als noch im Jahr 2020. Damit stehen viele weibliche Ideen in den Startlöchern, die Unterstützung brauchen.
Sow und Friedman verstehen die Shine Theory nicht nur als freundliche Geste, einer Frau in den sozialen Netzwerken zu folgen oder auf einer Party ein Selfie zu machen, sondern als feministische Verpflichtung. Es geht um Solidarität mit Menschen, die weniger privilegiert sind als weiße Männer.

„Demnach ist der Erfolg einer Frau immer ein Grund zu feiern, weil er Anerkennung und Motivation für alle anderen schafft.“ -

Dieser Punkt ist wichtig, denn meine Angst, es gäbe nicht genug Aufmerksamkeit für alle, wird durch ein strukturelles Problem ausgelöst: „Habt ihr jemals einen Stimmzettel gesehen, auf dem mehr als 50 Prozent Frauen standen? Oder eine Vorstandsetage in einem umsatzstarken Unternehmen voller People of Color? Dieser Mangel an Repräsentation hat eine beherrschende Knappheitsmentalität erzeugt: die Vorstellung, dass es nur wenige tolle Jobs gibt und man mit jenen Menschen konkurrieren muss, die so aussehen wie man selbst, um einen von ihnen zu bekommen“, so Sow und Friedman.
Um gegen diese Front etwas auszurichten, verlangt die Shine Theory ein Investment. Es bedeutet nicht, über 500 LinkedIn-Kontakte abzufischen, sondern Ressourcen, Kontakte und Jobmöglichkeiten zu teilen und langfristiges ein Netzwerk aufzubauen, das wirklichen Impact hat. Logisch, dass man diese Art von Aufmerksamkeit nicht sehr vielen Leuten zuteilwerden lassen kann. Eher nur einer Handvoll.
Laut der Netzwerk-Expertin Tijen Onaran sollte man dabei besonders nach Menschen Ausschau halten, die ein Talent haben, das man selbst nicht hat. Oder es sind Stimmen, von denen man glaubt, dass sie gehört werden sollten. Für die gebürtige Karlsruherin hat ein gutes Netzwerk dann den gleichen Stellenwert wie eine gute schulische Bildung. „Ein Netzwerk versetzt dich in die Lage, leichter Türen zu öffnen oder den Menschen zu begegnen, die dich weiterbringen“, weiß die Unternehmerin, Podcasterin und Autorin von „Die Netzwerkbibel – Zehn Gebote für erfolgreiches Networking“ (Springer).
Keine Sorge: Man muss dafür nicht alles mitmachen. Es ist legitim, wenn man Verbindungen ablehnt oder nicht weiter verfolgt, auch wenn sie strategisch schlau wären, sich persönlich aber nicht passend anfühlen.
„Wer wir sind und was wir machen, hängt zu einem nicht unerheblichen Ausmaß davon ab, mit wem wir in Kontakt sein und bleiben wollen – sprich: wem wir in unserem Leben eine Bedeutung geben“, so Tijen Onaran. „Ein gutes Netzwerk basiert auf Vertrauen. Wer dir vertraut, gestaltet auch mit dir.“
Mit dem Input sitze ich in meinem Homeoffice in Brandenburg und stelle fest, dass mein Netzwerk dringend ein Update braucht. Der Kontakt mit anderen Menschen ist nicht nur wichtig, um ein Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen, sondern auch, um im Gedächtnis zu bleiben und Gedanken zu teilen. Für mich als Autorin ist das die Grundlage meiner Arbeit – und meines Erfolges.
Der erste Schritt: Ich gehe monatlich wieder auf ein bis zwei Events oder mache eine Pressereise. Dort treffe ich Menschen, denen es ähnlich wie mir geht. Sie spüren das Bedürfnis, ihre Fühler auszustrecken, wissen aber nicht, wo sie nach zweieinhalb Jahren Pandemie anknüpfen sollen.
Aber Tijen Onaran hat recht, wenn sie sagt: „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt.“ Ich habe mir deshalb ein paar Tipps für Netzwerk-Anfänger*innen notiert, die ich gerne teile. Zum Beispiel auf einer Veranstaltung mutig zu sein und mindestens eine fremde Person anzusprechen, um das eigene Netzwerk zu erweitern. Deswegen gehe ich allein auf Networking-Events und versuche nicht den ganzen Abend mit einer Freundin in der Ecke zu stehen. Guter Move dagegen, um das bestehende Netzwerk aufzufrischen: Never lunch alone – also gerne jemanden mittags zu Nudeln oder Sushi einladen und sich gegenseitig auf den neuesten Stand bringen.

„Wichtig beim Netzwerk-Check: Die Shine Theory ist keine Einbahnstraße.“ -

Der Glitzer sollte also immer von beiden Seiten fliegen. Menschen, die bei der Begrüßung über ihre Schulter hinwegschauen, um nachzusehen, ob jemand Wichtigeres im Raum ist, brauche ich zum Beispiel nicht. Denn die Verpflichtung zur Unterstützung gilt nicht nur für die Erfolgsmomente, sondern auch in Krisenzeiten. „Dabei kultivieren wir aktiv ein Gefühl echten Glücks und echter Aufregung, wenn unsere Freundinnen erfolgreich sind, und des Beistands, wenn sie es nicht sind“, schreiben Sow und Friedman.
Nicht nur im Arbeitsleben lässt sich der Impuls der Konkurrenz durch den der Zusammenarbeit ersetzen. Es funktioniert sogar im Sport. So trainierte die amerikanische Langstreckenläuferin Shalane Flanagan zusammen mit ihren Rivalinnen, statt sich in einem geheimen Camp zu verschanzen. Das Ergebnis: Shalane Flanagan war in Bestform und gewann als erste Frau nach 40 Jahren 2017 den New York City Marathon. Ihre Kolleginnen qualifizierten sich dagegen alle für die Olympischen Spiele. Wann immer eine der Sportlerinnen ein hervorragendes Ergebnis erreichte, wurde ihr Erfolgserlebnis von ihren Sportsfreundinnen verstärkt. Fiel eine der Kolleginnen zurück, unterstützten sie die anderen, indem sie ihr Wasser besorgten, Tipps gaben oder halfen den Laufrhythmus wiederzufinden. Als sie in New York ins Ziel lief, rief Shalane Flanagan „Fuck yeah“, so nach dem Motto: „Seht ihr, es funktioniert!“ Die New York Times sprach in diesem Zusammenhang von dem „The Shalane Flanagan Effect“. Im Zeitalter von New Work mit flachen Hierarchien ist die Ellenbogenmentalität von Einzelkämpfer*innen nicht mehr gefragt. Teams arbeiten abteilungsübergreifend und projektbezogen, damit jede*r die beste Version ihrer*seiner selbst sein kann – auch im Sport.
Zugegeben: Diese Anekdote ist sehr amerikanisch, aber sie ermutigt mich, selbstbewusster zu sein. Die Sozialisation im Patriarchat hat dafür gesorgt, dass viele Frauen ihre Leistungen per se schlechter bewerten, als sie eigentlich sind. Sie machen sich klein und sagen: „Das war doch keine große Sache“ oder „Ach, ich hatte nur Glück“. Die wenigsten von uns haben gelernt, ihre Erfolge zu feiern. Deshalb ist die Shine Theory so wirksam. Wir müssen uns also viel öfter gegenseitig sagen, wie gut wir sind und dass sich die Lücke zwischen dem, wozu wir eigentlich fähig sind, und den uns angebotenen Möglichkeiten eines Tages schließen wird.
Moment mal!

„Fürchte ich wirklich den Erfolg anderer Frauen – oder muss ich nur lernen, meine Erfolge zu feiern?“ -

Wie vielen ist es mir unangenehm, mit meinen Leistungen anzugeben. „Bescheidenheit ist eine Tugend“ oder „Hochmut kommt vor dem Fall“ – mit diesen Sätzen sind wir alle groß geworden. Aber wer so wie ich Bock auf einen Bestseller hat, muss sich trauen, das an die große Glocke zu hängen.
Am besten geht das mithilfe einer Frau, die man professionell schätzt und persönlich mag. Das neue Buch von Marlene Sørensen „Und jetzt? Fragen an das Leben mit 40. Antworten für immer“ (Rowohlt) erscheint so wie meins im November. Im ersten Moment haben wir uns über die zeitgleiche Veröffentlichung geärgert. Dabei ist sie perfekt. Marlene stellt meinen Titel im Buchclub vor und ich ihren. Außerdem habe ich sie gefragt, ob wir zusammen eine Book-Release-Party machen wollen. Sie hat sofort Ja gesagt. Ich poliere schon mal meine Glitzerkanone.
Fotos: Ann Friedman und Aminatou Sow © Milan Zrnic, Tijen Onaran © Urban Zintel, Alexa von Heyden © Florian Mickan

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