Hallo. Oder, wie man hier im hochdeutschen Hannover sagt: „Hallo.“
Ich bin Sassi, 32 Jahre alt, verheiratet, Mutter zweier Kinder (2 und 4 Jahre alt) und Grundschullehrerin. Halt, stop, bevor ihr einschlaft oder noch auf die 1,3 Goldenretriever, die Doppelhaushälfte und die schwedische Familienkutsche wartet – jetzt kommt`s spannender. Versprochen. Hier ist immer Trubel. Nämlich. Mein Mann hat eine IT-Firma gegründet, die er unter wunderbaren sozialen Gesichtspunkten aufbaut und wir deswegen im Alltag oft auf ihn verzichten müssen. Und während ich unser Leben so vor mich hin jongliere, versuche zwischen Wäsche und kindlichen Wutanfällen nicht durchzudrehen, kämpfe ich (im Klassenzimmer und im
Internet) an vorderster Front für eine Bildungsrevolution und versuche unser Schulsystem einmal umzukrempeln.
Meine Woche - „Darf`s auch ein bisschen mehr sein?“
Montag
Mein Wecker klingelt um 6.17 Uhr. Fragt nicht. Ich hab da so eine Macke mit krummen Uhrzeiten. Es ist ein theoretisches Klingeln. In der Regel sind meine Kinder früher wach. Der Morgen gehört dem Papa. Ich arbeite fast Vollzeit und muss einfach sehr früh in der Schule stehen. Da bleibt wenig Puffer, um zwei kleine Menschen stressfrei pünktlich in die KiTa zu bringen. Eigentlich gar kein Puffer. Also ist das Papazeit. Eine riesige Erleichterung für mich und kostbare Zeit für die Kinder. Denn wann anders sehen sie den Mann an den vielen Tagen kaum (Ausnahme, siehe Mittwoch).
Ich erwische auf den letzten Drücker meine Bahn. Bin vor ein paar Monaten umgestiegen. Gute Wortwahl, stelle ich gerade fest. Dank der Denkanstöße der Fridays-for-Future-Bewegung bleibt das Auto stehen.
In der Schule führt der erste Weg zur Kaffeemaschine, inklusive eines Küsschens für die Lieblingskollegin, weil sie den Kaffee in meiner Stärke gekocht hat. Dann der normale Morgentrubel. Wer ist krank? Wer fängt auf? Wer übernimmt Doppelführungen? Wer macht Zusatzstunden? Spontane Vertretungsideen? Denkt ihr an die Abgabe der Elternzettel-Rückläufe? Wer hat Küchendienst?
Dann Unterricht.
Nach Unterrichtsschluss spurte ich heute im Eiltempo aus dem Schulgebäude, um meine Bahn zu erwischen. Ich muss vor dem Abholen der Kinder unbedingt noch Einkaufen. Es ist der ganz große Alltagsglamour.
Der Einkauf wird verräumt, eine Wäsche angeschmissen und die Trinkflaschen für den Spielplatz gepackt. Tür auf, Tür zu, Straße überqueren, KiTa-Tür auf, KiTa-Tür zu und zwei hocherfreute Sprösslinge in die Arme schließen.
Unser Kindergarten ist eine Elterninitiative. Das bedeutet zwar regelmäßiges Engagement, heißt aber auch ein enges Miteinander und die Freiheit, seine Kinder in Ruhe abzuholen und auch mal länger zu bleiben.
Heute geht es fix. Die Eisdiele wartet. So wie eigentlich jeden Tag im Sommer. Anschließend Spielplatz, 183.034mal Schwung beim Schaukeln geben, ein nettes Pläuschchen hier und da und schon ist der Nachmittag rum. Der Rückweg gestaltet sich erst schwierig, da die Tochter zwingenderweise barfuß durch die Stadtstraßen laufen muss und ich erst wage, dagegen zu sein. Aber dann klappt`s. Also barfuß. Pädagogik? Kann ich.
Abends wartet der Schreibtisch auf mich.
Dienstag
Papa und Kinder machen sich bereit für die KiTa, ich bastle Brotboxen zusammen. Und denke heute sogar mal an mein Frühstück. Dann Kaffeebecher und Spurt zur Bahn. In der Bahn Instagram-Nachrichten beantworten. Aufgrund der Schulthemen sind das mehrere hundert am Tag. Ich brauche lange, um sie abzuarbeiten. Aber ich mache es gern. Weil ich sehe, was sich bewegt.
Lehrerzimmer, Kaffeemaschine und Kaffee Nummer 2. Leider nicht in meiner Stärke, aber wir wollen nicht kleinlich sein.
Dann Unterricht – in Auszügen:
„Frau N., ich brauche eine Pause, ich nehme mir das Springseil mit nach vorne, 5 Minuten, ok?“ - Natürlich.
„Frau N., können Ben und ich zusammenarbeiten?“ - Sicherlich.
„Frau N., wir zwei setzen uns nach draußen zum Arbeiten, in Ordnung? - Gut, aber lasst bitte die Tür offen.
„Frau N., mir ist das etwas zu laut, ich nehme mir die Kopfhörer.“ Gute Idee.
„Frau N., ich habe meine Hausaufgaben vergessen.“ - Das kann passieren. Gibt es einen Moment, in dem du sie gut nachholen kannst?
Ich liebe meine Arbeit. Und glaube, dass man (meinetwegen auch erstmal ohne große Umbrüche) Schule auch mit einfachen Möglichkeiten gleich ein bisschen schöner machen kann. Ein bisschen den Blickwinkel drehen, ein bisschen reflektieren, ein bisschen auf Augenhöhe gehen und schwupps fallen Sätze wie „Och, Frau N., die Ferien waren eigentlich zu lang. Ich hab mich richtig wieder auf die Schule gefreut.“
Nach einem schönen Schultag und einem ebenso schönen Nachmittag mit meinen Kindern, sitze ich abends auf dem Sofa und schreibe einen Post. Darüber, wie viel Grenzen im Klassenzimmer wirklich herrschen müssen und über die Frage, ob wir nicht viel mehr Ja sagen könnten.
Kurz bevor ich ins Bett verschwinde, kommt der Mann nach Hause. Wir erzählen uns vom Tag. Ein kleiner kostbarer Moment.
Mittwoch
Aufstehen. Kinder knutschen. Kaffee, Brotbox, heute Fahrradfahren. Mein Sportprogramm. Immerhin insgesamt dann 17km. Heute liegt ein langer Tag vor mir. Um mein berufliches Pensum zu schaffen, holt an diesem Tag der Papa die Kinder vom Kindergarten ab. Und ich bleibe in der Schule und bereite die letzte Woche nach und die nächste Woche vor.
Da meine Kinder noch klein sind, gestaltet sich nämlich aufgrund längerer Einschlafbegleitungen abendliches Arbeiten am Schreibtisch manchmal schwierig. Außerdem weiß man mit einem selbstständigen Mann nie so genau, was die Woche spontan so bringt und da ist es gut, wenn ich das Gröbste wirklich gebündelt wegarbeiten kann. Heißt konkret, ich befinde mich von 7.30 bis meist 21.00 Uhr im Schulgebäude und unterrichte, plane, schaue Hefte und Mappen durch, kopiere, laminiere, erstelle Förderpläne, beantworte Mails, schreibe kleine Briefchen für die Postkästen meiner SchülerInnen, buche unseren nächsten Ausflug, erstelle Hilfsmaterial für die nächste Mathematik-Sequenz, dekoriere das Klassenzimmer in Richtung der kommenden Jahreszeit. Naja und all die 300 Sachen, die sonst noch so anfallen.
Weil ich an diesem Tag das mit dem gut geregelten Essen nicht schaffe, bestelle ich vor Abfahrt nach Hause immer etwas, das dann auf mich wartet, wenn ich ankomme. Dann wird auf dem Sofa zusammen mit dem Mann geschlemmt, ich höre mir an, wie die drei den Tag verbracht haben und falle ins Bett.
Donnerstag
Aufstehen. Kinder knutschen. Kaffee, Brotbox, zur Schule radeln. Heute besonders hart, weil ich oft geschlaucht bin vom langen Mittwoch. Deswegen auch direkt mal vergessen, Frühstück einzupacken. Na gut, zum Glück ist ein Lehrerzimmer ein Fundus verlockender Süß- und Salzspeisen. So will es das Gesetz. Und dieses Gesetz rettet mich nicht selten.
Dann Unterricht.
„Wusstet ihr, dass Fehler was ziemlich Tolles sind?“ -
Und dass unglaublich glorreiche Erfindungen durch Irrtümer entstanden? Eis am Stiel, zum Beispiel. Wenn das mal kein Argument ist, seinen Blick auf Fehler zu ändern. Im Klassenzimmer. Und vermutlich auch anderswo. Und wusstet ihr, dass Albert Einstein, einer der klügsten Menschen unserer Spezies, Legastheniker war? Und dass Astrid Lindgren in heutigen Zeit vermutlich auf ADS getestet worden wäre? Und wusstet ihr, dass wenn wir die Lernwege öffnen würden, viele, viele Kinder gar nicht auffällig wären? Sondern stinkepupsnormal?
Falls nicht, wisst ihr`s jetzt. Und ihr wisst auch, wie mein schulischer Donnerstag so in seiner Grundlage aussah.
Nachmittags habe ich mit den Kindern einen Zahnarzttermin. Unliebsame Termine mit 2 Kindern einhalten. Es sollte olympische Disziplin werden. Wir schaffen es. Irgendwie. Aber nicht ohne den Verlust von rund 3 Litern mütterlichen Schweißes.
Abends gibt es Nudeln mit Soße. Haben sich die Kinder gewünscht. Oder vielleicht auch ich.
Der Mann kommt etwas früher. Schon gegen 18.30 Uhr. Und ich mach mich auf den Weg zu meinen Elternabend.
Freitag
Aufstehen. Kinder knutschen. Kaffee, Brotbox, Spurt zur Bahn. Und freuen, dass bald Wochenende ist.
Ich bin Grundschulmedienbeauftragte und beim Betreten des Schulgebäudes wartet heute der erste mediale Notfall auf mich. Die Sekretärin hat einen versehentlichen Zeilenumbruch in ihrem Schriftstück veranlasst. Alles ist in heller Aufruhr. Der soll da wieder weg. Auftritt, mein Zeigefinger. Mit heldenhafter Leichtigkeit drückt er auf die „Löschen“-Taste und, fast ein Hexenwerk, der Zeilenumbruch verschwindet. Der Tumult legt sich. Man reicht mir Kaffee.
Ein würdiger Auftakt ins Wochenende. Aber erstmal Unterricht.
Wieder zu Hause nehme ich mir Zeit fürs Mittagessen. Ich versuche das verstärkt. Diesen Moment. Und manchmal klappt es. Und manchmal kommt der Alltag in die Quere.
Dann räume ich auf. Aufräumen vor dem häuslichen Wochenende. Manchmal bin ich wirklich ein Genie. Nicht. Und ich setze mich nochmal an den Schreibtisch. Dieses Wochenende will ich mir freihalten. Also jetzt den letzten Rest wegarbeiten. Viel ist es nicht mehr. Dem Mittwoch sei Dank. In dieser Woche komme ich auf 44 Stunden Arbeitszeit. Eher eine ruhige Woche. Und ja, ich arbeite Teilzeit (70%). Eigentlich.
Ich hole die Kinder ab. Und die KiTa-Wäsche. Wir haben Waschdienst. Und natürlich habe ich die Woche schon unsere Wäsche erledigt, damit am Wochenende die Waschmaschine für diese Pflicht frei ist.
Ach, quatsch. So organisiert ist niemand. Nicht mal Lehrerinnen.
Die Kinder und ich verbringen einen schönen Nachmittag bei Freunden. Und abends ist Kino auf dem Sofa. Mit selbstgemachter Pizza. Ich liebe es. Meine Tochter, auch selbstgemacht, schläft dabei auf meinem Schoß ein. Ich liebe es noch mehr.
Samstag
Wir starten so gemütlich, wie das eben geht. Um 6.00 Uhr. Mein Mann verabschiedet sich zum Arbeiten, wird aber am Nachmittag fertig sein. Vor 4 Jahren hat er eine eigene IT-Firma gegründet, mit dem Anspruch sozial und in den Arbeitsstrukturen neue Wege zu gehen. Viele Vertreter alteingesessener Management-Ebenen haben ihn gewarnt. Und trotzdem zieht er es seit Jahren erfolgreich durch. Flexible Zeiten, Home-Office, Übernahme der KiTakosten, ein Eltern-Kind-Büro, gemeinsame Aktionen, tägliches gemeinsames und bezahltes Mittagessen, Möglichkeiten zum Frühstücken (ein wundervolles Müsli-Buffet), Unterstützung bei der Wohnungssuche, bezahlte Sprachkurse für ihre Mitarbeiter mit Migrationshintergrund und und und. Ich liebe ihn dafür. Aber es verlangt uns familiär Kompromisse ab. Denn „selbst“ und „ständig“ sagt sich nicht nur so. Es ist Programm. Auch am Wochenende.
„Die Kinder und ich erledigen den Wocheneinkauf, schmeißen uns auf den Fußweg und wüten darüber, dass die Ampel schon grün war,“ -
obwohl man doch auf den Knopf drücken wollte. Na gut, 2/3 TeilnehmerInnen tun das.
Am Nachmittag holen wir den Papa ab. Meine Kinder sind selbstverständlicher Bestandteil der Firma und regelmäßig zu Besuch. Die beiden wollen unbedingt im Eltern-Kind-Büro spielen und so sitzen mein Mann und ich dort mit einer Tasse Kaffee auf dem Boden und genießen die Zeit. Erst zum Abendbrot machen wir uns auf dem Heimweg. Dann essen, Pipi, baden, Zähneputzen und ins Bett. Einschlafbegleitung. Meine Kinder begleiten mich heute wunderbar in den Schlaf. Der Mann verbringt die Zeit allein vor Netflix. So ist das. Manchmal.
Sonntag
Die Kinder lassen uns „ausschlafen“. 6.30 Uhr. Immerhin. Mein Mann steht mit ihnen auf, ich darf noch etwas weiterschlafen. Wieder einmal mehr wissen, warum ich ihn geheiratet habe. Wir starten in den Tag. Lego bauen, Pferde reiten, Hörspielen lauschen. Mit der Hoffnung auf ein ebenso idyllisches Frühstück decke ich den Tisch. Kannste versuchen, aber Pustekuchen. Ich erweise mich als klägliche Gastgeberin. Die Becher sind falsch. Die Teller sowieso. Bei der Milch habe ich törichterweise um 0,00003 ml Füllhöhe daneben gelegen und als meine Tochter sehr bestimmt sagte, sie wolle Marmelade auf ihr Brötchen, habe ich nicht direkt verstanden, dass sie damit eigentlich meinte, sie wolle Frischkäse mit Honig. In der schon ohnehin brüchigen Stimmung liefern sich die Kinder noch diverse „Nein-Doch-Nein-Doch-Nein-Doch-Nein-Doch“-Geschwister-Eskalationen. In der Regel haben mein Mann und ich aber nach einer Weile Ruhe zum Frühstücken, denn die Sprösslinge halten nie viel vom gemütlichen Beieinandersitzen. Nach drei Bissen rennen sie wieder ins Kinderzimmer und wiederholen das dann im 5-Minuten-Takt. Irgendwann wird das sicher mal anders. Aber für jetzt ist das ok so. Der Mann und ich können so auch mal ein paar Worte miteinander wechseln.
Am Wochenende geben unsere Kinder den Takt an. Unter der Woche bestimmen wir den Rhythmus weitgehend und sie machen das ziemlich verlässlich mit, daher ist es nur fair, das am Wochenende mehr in ihre Hände zu geben. Heute wünschen sie sich einen Ausflug in den Zoo.
Es wird ein guter Tag. Ich genieße die seltenen Momente zu viert sehr. Ein Erwachsener pro Kind. Es ist eine große Erleichterung. Das merke ich dann doch. Ich muss mich auf dem Zoo-Spielplatz nicht zerreißen, weil der eine rutschen und der andere hüpfen will. Im Alltag muss doch immer wieder einer kurz zurückstecken.
Abends schauen wir alle zusammen noch eine Folge Bibi und Tina und essen Abendbrot auf dem Sofa. Sobald die Kinder schlafen, planen der Mann und ich noch grob die nächste Woche, bevor ich mich gedanklich auf die kommenden Schultage vorbereite. Dann schreibe ich gern sonntagabends einen Text für Instagram. Bis dahin bleibt das Handy an Wochenenden eher liegen.
Und dann sitzen wir noch ein bisschen da. Schauen was. Und stellen immer wieder fest. Alle gesund. Uns geht es gut.
Fotos -\xa0Claudia Piotrowski