Wie, du kennst Katie nicht?! Du hast noch nie von „The Work“ gehört??? Meine Freundin Anna schaut mich an, als sei ich mindestens vom Mond. Tut mir leid, aber „Katie“ ist offenbar völlig an mir vorbeigegangen. Wer ist die Frau? Und was ist dieses ominöse „The Work“, von dem alle, Anna eingeschlossen, so schwärmen?
Katie, wie sie von ihren Fans genannt wird, heißt eigentlich Byron Katie. Sie war 43, schon lange schwer depressiv und völlig verzweifelt, als sie eines Morgens mit einer blitzartigen Erkenntnis erwachte: Was mich leiden lässt, sind meine Gedanken. Wenn ich ihnen nicht glaube, leide ich auch nicht. Statt ständig zu versuchen, die Welt zu verändern (hoffnungslos), sollte ich meine Sicht auf diese Welt ändern:
„„So ist es“ statt „so sollte es sein“. Nur so kann ich glücklich werden.“ -
Aus dieser Erleuchtung heraus (so nennt Katie es selbst) entwickelte sie bald „The Work“: Eine Untersuchungsmethode, die unsere Gedanken hinterfragt, sie umkehrt und uns von Belastendem befreien soll. „The Work“ basiert auf vier Fragen, die, Zitat Katie, „Leben verändern können“.
Wow, das ist mal ein Versprechen. Ich mag mein Leben (wenn nicht gerade Montag ist oder Magen-Darm rumgeht), aber ja, es ist kompliziert und könnte sehr oft sehr viel einfacher sein. Bislang dachte ich, das hänge maßgeblich mit ein paar Vollidioten*innen zusammen, die mir im Weg stehen, mit Umständen, Strukturen und Ungerechtigkeiten. Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, wenn mein Leben dadurch leichter wird.
So viele schwören auf Katies Technik, berichten von spektakulären Erkenntnissen und sensationellen Veränderungen. Irgendwas muss da dran sein.
Bevor meine eigene Erleuchtung beginnen kann, brauche ich aber noch einen dieser praktischen Bücher-Schutzumschläge. Ich will
Katies Besteller „Lieben was ist“ in der U-Bahn lesen. Muss ja nicht jeder wissen, dass ich gerade Lebensveränderndes vorhabe. Ab Seite 68 geht es endlich ans Eingemachte: „The Work für Partnerschafts- und Familienprobleme“.
Schnell wird mir klar: „The Work“ im öffentlichen Nahverkehr zu machen, ist keine gute Idee. Um meinen Gedanken auf die Schliche zu kommen, soll ich sie aufschreiben, fixieren, am besten auf Papier. Sonst machen sie sich viel zu schnell wieder selbständig in meinem Gehirn und mutieren, wie sie wollen. „The Work“ sei eine Meditation, sagt Katie.
„Oft dauere es, bis die für uns richtigen Antworten in uns aufstiegen.“ -
Das braucht Zeit und Ruhe. Ein Döner kauender Mitfahrer ist da keine große Hilfe. Also nach Hause, Tür zu, Handy aus, Kopf an. Als „The Work“-Neuling beginnt man am besten mit dem
Arbeitsblatt „Urteile über deinen Nächsten“, das man im Buch oder auf der The Work-Homepage findet. „Arbeitsblatt“ erinnert mich an Schule. Es auszufüllen macht aber tatsächlich Spaß, denn Katie erlaubt mir ausdrücklich, kleinlich und beurteilend, also fies zu meinem „Nächsten“ zu sein. Kleinschrittig soll ich eine Situation untersuchen, in der mich jemand (Freund, Feind, Familie...) in Stress versetzt.
Also zum Beispiel (bleibt ja unter uns, oder?): Ich bin enttäuscht (und wütend!), weil M. (mein Mann) nicht aufhört zu rauchen. Ich muss noch fünf weitere Aussagen aufschreiben, die mit dieser Situation zusammenhängen (z.B. was ich in dieser Situation über ihn denke: dass er fahrlässig, verantwortungslos, egoistisch, bescheuert, abhängig, ... kurz: dumm ist).
Das zu formulieren fällt mir leicht, überraschenderweise dauert es bei anderen Aussagen (z.B. was ich brauche, damit ich in dieser Situation glücklich sein kann) aber erstaunlich lange, bis das Chaos in meinem Kopf sich soweit geordnet hat, dass ich stimmig etwas aufschreiben kann. Immer wieder ändere ich die Formulierung, weil ich merke, dass mir noch ein anderer, präziserer Gedanke kommt. Katie wäre zufrieden mit mir. „Willst du wirklich die Wahrheit wissen?“, fragt sie diejenigen, die bei ihr Hilfe suchen, immer wieder. Eine einfache Frage, die oft erstaunlich schwer zu beantworten ist.
Das Arbeitsblatt ist ausgefüllt. Jetzt erst beginnt die wirkliche „Work“. Ich soll mir zu jeder meiner Aussagen diese vier Fragen stellen:
Ist das wahr?
Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?
Wie reagierst du, was passiert, wenn du diesen Gedanken glaubst?
Wer wärst du ohne diesen Gedanken?
Ich frage mich also und frage und frage – und stelle verblüfft fest: Es arbeitet in mir, Bilder und Gefühle steigen auf, besonders bei Frage 4. Als die Antwort schließlich klar ist (Ich wäre sorgenfreier, entspannter, mehr bei mir...), fühle ich mich schon ein bisschen befreiter.
Im nächsten Schritt soll ich all meine Aussagen auf dem Arbeitsblatt „umkehren“. Statt „M. hört nicht auf zu rauchen“ also: „ICH höre nicht auf zu rauchen“ oder: „M. ist Nichtraucher“. Klingt erstmal schräg. Tatsächlich sollen diese Umkehrungen meine Perspektive noch mehr öffnen oder, wie Katie sagt, mich das Gegenteil von dem erfahren lassen, was ich für wahr halte: „Es geht darum, Möglichkeiten zu entdecken, die dir Frieden bringen.“ Und ja, so lustig das Bäumchen-Wechsel-dich- Spiel auch anfangs wirkt – es macht was mit mir, spült meine Gehirnwindungen einmal ordentlich durch und rüttelt an angeblichen Wahrheiten: Ist wirklich nur er hier der Abhängige? Am Ende kann dann die Erkenntnis stehen, dass wir jederzeit aus unseren Problemen aussteigen können.
„Und dass wir bei uns bleiben können, statt permanent auf den anderen einzuwirken.“ -
Spannenderweise bringt oft genau das den anderen dazu, sich doch zu ändern – weil er es wirklich will und nicht, weil er meinen Druck spürt, sich ändern zu müssen. Wenn man sich ein bisschen mit Hirnforschung, Psychologie und Therapie beschäftigt hat, weiß man, wie sehr uns unsere Gedanken lenken und dass wir sie umlenken können. Katies Verdienst ist es, eine einfache und durchaus radikale Methode entwickelt zu haben, mit der jeder jederzeit seine destruktiven Gedanken untersuchen kann.
Ich mache in den nächsten Tagen „The Work“ noch mit anderen Situationen, auch solchen, die mich weit mehr stressen als mein Kette rauchender Ehemann. Je belastender die Situation, desto schwieriger die „Arbeit“, stelle ich fest. Desto größer ist aber am Ende auch der Erkenntnisgewinn. Es tut gut, sich Zeit zu nehmen und nach innen zu gehen, regelmäßig die Perspektive zu wechseln und, ja, auch zu spüren, wo die wunden Punkte sind. „Wenn du bei einem Gedanken noch Widerstand spürst, ist deine Arbeit nicht getan“, sagt Katie dazu.
Hat sich mein Leben durch Katie völlig verändert? Nein. Vielleicht habe ich noch zu wenig „The Work“ gemacht. Vielleicht ist mir dieser Anspruch aber auch zu hoch gegriffen. Ich spüre immer noch einen Widerstand in mir, bei der Aussage, dass ausnahmslos all unsere Probleme ihren Ursprung in unserem Denken haben. Katie wendet ihre Methode selbst bei Missbrauchserfahrungen an. Das bin ich anderer Meinung. Ich denke, da ist ein gut ausgebildeter Psychotherapeut die bessere Wahl.
Dennoch: Es wäre viel gewonnen, wenn wir alle uns und unsere Sicht auf die Welt viel öfter in Frage stellen würden – Katie kann uns dabei auf jeden Fall gut helfen.
PS: Mein Mann hat letztens ernsthaft gesagt, bis 45 müsse er mit diesem Qualmen ja schon aufhören. Zufall oder „The Work“? Katie, langsam wirst du mir unheimlich...
Foto – Brie Childers