Job & Finanzen
Ich kann nichts.
Die besten Strategien gegen das Impostor-Phänomen.
von Alexa von Heyden - 01.03.2020
Diesen Text gibt es auch als Audio-Artikel, zum Anhören und Downloaden einfach hier klicken.
Vor ein paar Jahren saß ich mit einem Studienfreund in einer Bar und wir unterhielten uns über unsere Jobs. Damals hatte ich gerade mein erstes Buch veröffentlicht, das es auf die SPIEGEL-Bestsellerliste geschafft hatte. Als mein Kumpel von einem Bekannten angesprochen wurde, stellte er mich als „Das ist die Bestellerautorin Alexa von Heyden“ vor. Ich wäre am liebsten im Boden versunken und wiegelte ab: „Na ja, ich hatte Glück!“
Bis heute bin ich davon überzeugt, dass meine Ergüsse mehr oder weniger Grütze sind. Vor einer Deadline tigere ich schlaflos durch das Haus, weil ich Angst habe, dass meine Arbeit kritisiert wird. Ich glaube, dass mein Bestseller ein Zufallstreffer war, denn es gibt Millionen Autoren auf der Welt, die besser schreiben können als ich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis allen auffällt, dass ich bluffe. Ein paar von euch denken jetzt vielleicht: „Meine Güte, was ist denn mit der Alexa los?“ Die anderen sagen: „Das Gefühl kenne ich so gut!“
Studien gehen davon aus, dass sich 70 Prozent aller Menschen als Hochstapler (engl. „Impostor“) fühlen. Du bist dir nicht sicher, ob du auch dazugehörst?

Der schnelle Impostor-Selbsttest:

  • Ich stelle hohe Ansprüche an mich selbst. [Check!]
  • Ich lege großen Wert darauf, was andere von mir denken. [Check!]
  • Ich will mich nicht auf andere verlassen, sondern alles selbst in der Hand haben. [Check!]
  • Ich fürchte mich davor, Fehler zu machen und darauf angesprochen zu werden. [Check!]
  • Ich glaube, meine Kollegen sind besser als ich. [Check!]
Alle fünf Fragen mit „Ja“ beantwortet? Herzlich willkommen im Impostor-Club! Die gute Nachricht ist: Das Impostor-Syndrom ist keine Krankheit, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Expertinnen wie Sonja Rohrmann, Professorin für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, sprechen in diesem Zusammenhang deshalb lieber von einem „Impostor-Selbstkonzept“ oder dem „Impostor-Phänomen“. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es sich jedoch zu einer psychischen Störung, die einer Therapie bedarf, entwickeln. Deshalb sollte man es ernst nehmen und die Ursachen abklären.
„Ein geringes Selbstwertgefühl, ein hoher Perfektionismus und eine externale Kontrollüberzeugung spielen eine zentrale Rolle“, erklärt Sonja Rohrmann. Mit externaler Kontrollüberzeugung meint die Expertin die Wahrnehmung, dass das eigene Schicksal vom Zufall oder von äußeren Kräften bestimmt wird, die sich der eigenen Kontrolle entziehen. Der Impostor begründet seinen Erfolg nie mit seinem Talent, Erfahrung oder Kompetenz. Er fühlt sich als Mogelpackung und redet seine Erfolge klein, statt stolz darauf zu sein. Auf ein Lob antwortet er: „Ach, das war doch keine große Sache.“
Als Impostor befindet man sich in prominenter Gesellschaft. Michelle Obama fühlt sich in großen Runden mit wichtigen Leuten am Tisch fehl am Platz. Oscar-Preisträgerin Lady Gaga glaubt, dass sie immer noch die gleiche Versagerin wie zu Schulzeiten sei. Stand-up-Comedian Amy Schumer kommt sich in Hollywood wie eine „Touristin“ vor. Dass vornehmlich Frauen unter einem berufsbezogenen Minderwertigkeitskomplex leiden, kann laut Sonja Rohrmann jedoch nicht nachgewiesen werden. Auch Männer kennen das Impostor-Phänomen. Was auffällt:

„Menschen mit einem höheren Bildungsniveau sind insgesamt stärker betroffen.“ -

„In einer Studie, die wir an Führungskräften durchgeführt haben, berichteten 50 Prozent von Impostor-Gefühlen; und auch 2/3 der Ärzte berichten hiervon; besonders stark ist die Ausprägung bei Studierenden und Wissenschaftlern“, weiß Sonja Rohrmann, die darüber das Buch „Wenn große Leistungen zu großen Selbstzweifeln führen: Das Hochstapler-Selbstkonzept und seine Auswirkungen“ geschrieben hat.
Das negative Selbstkonzept stellt zwar kein rein weibliches Problem dar, aber es sind doch vor allem jene Berufssparten betroffen, in denen ein souveränes, selbstsicheres und damit typisch „männliches“ Auftreten üblich ist. Das Selbstbewusstsein steht und fällt mit der erbrachten Leistung und der Anerkennung der anderen. Eine neue Aufgabe löst deshalb keine Vorfreude, sondern Selbstzweifel aus. Der Impostor denkt: „Ogottogott“ statt „Packen wir’s an!“.
Die möglichen Ursachen für das Impostor-Phänomen sehen Wissenschaftler wie Sonja Rohrmann zum Beispiel in einem leistungsorientierten Erziehungsstil, durch den ein Kind das Gefühl bekommt, nicht um seiner selbst willen geliebt zu werden. Auch bestimmte Familiendynamiken können den Grundstein für die Selbstzweifel legen. „Personen mit Impostor-Selbstkonzept wachsen oft in einer Familie auf, in der einem nahen Familienmitglied die Rolle des ‚Intelligenten‘ zugeschrieben wird. Dem Impostor hingegen wurde etwa vermittelt, das hübsche, einfühlsame oder soziale Kind zu sein.“ Das war bei mir ähnlich: Meine älteren Geschwister gaben den Ton an, während das Nesthäkchen die Aufmerksamkeit bekam. Ich saß irgendwo dazwischen und sollte auf alle Rücksicht nehmen.
Nicht zu vergessen ist der Druck, der in unserer Leistungsgesellschaft ständig „höher, schneller, weiter“ fordert. Wer hat schon die Gelegenheit, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen, wenn nach der bestandenen Prüfung bereits am nächsten Morgen die nächste Präsentation noch brillanter sein muss?

„So entsteht das Gefühl: Egal, was ich tue, es reicht nicht.“ -

Eine Work-Life-Balance zu finden, ist für den Impostor unmöglich, denn das negative Selbstkonzept geht Hand in Hand mit ungünstigen Arbeitsstilen wie Perfektionismus oder Prokrastination, also extremem Aufschieben. Auch das kommt mir bekannt vor. Trotz zahlreicher To-do-Listen auf meinem Schreibtisch zögere ich eine Aufgabe oft so lange hinaus, bis der Druck immer größer wird und ich etwas machen MUSS.
Auch Sabine Magnet hat ein Buch über das Impostor-Phänomen geschrieben: „Und was, wenn alle merken, dass ich gar nichts kann? Über die Angst nicht genug zu sein“. Der Titel beschreibt den Gedanken, der im Kopf des Impostors für Dauerstress sorgt. „Als ich das erste Mal davon hörte, war ich erleichtert, dass ich mit diesem Brainfuck nicht alleine bin“, erzählt die Journalistin und Dichterin aus München.
Als sie den Buchvertrag bekam, schlug sie dem Verlag drei andere Autorinnen vor, die ihrer Meinung nach besser für den Job geeignet seien. „Ich bin keine Expertin, keine Psychologin und hatte davor noch nie ein Buch geschrieben: Ich dachte, ich kann das nicht!“ Ihre Verlegerin ließ sich auf keine Alternative ein. Sabine Magnet stellte fest, dass die Selbstzweifel beim Machen langsam nicht mehr lähmten, und sagt heute:

„Fake it till you make it – der Spruch ist wirklich wahr!“ -

Das Buch hatte für sie aufgrund der vielen Gespräche mit Wissenschaftlerinnen und Expertinnen eine therapeutische Wirkung: Sabine Magnet lernte Angst oder Selbstzweifel nicht automatisch zu unterdrücken, sondern sie als Wegweiser zu verstehen. „Ich schaue mir das Gefühl jetzt genauer an, denn es bedeutet, dass etwas nicht geheilt ist.“
Zurzeit berichten sämtliche Medien, auch international, über das Impostor-Phänomen. Auch Sabine Magnet bekommt verstärkt Interviewanfragen, obwohl ihr Buch bereits 2018 auf den Markt kam. Es entsteht der Eindruck, dass der Impostor keine seltene Spezies ist.
Weil sich so viele mit ihnen identifizieren können, bieten Impostor-Gefühle eine Chance. Die Erkenntnis, dass die meisten von uns mit Selbstzweifeln kämpfen, könnte nicht nur in den Büros für mehr Zusammenhalt sorgen. Wie wäre es, die Arme für gegenseitige Unterstützung auszubreiten, statt die Ellenbogen für den Konkurrenzkampf anzuspitzen? In der Berliner Dependance eines großen Medien-Unternehmens gilt die sympathische Ansage: „Hier braucht niemand heimlich unter dem Tisch heulen. Impostor: Das kennen wir doch alle!“
Nachdem ich so viel darüber gelesen und mit den oben genannten Expertinnen gesprochen habe, möchte ich euch gern vorstellen, was mir persönlich dabei hilft, mit dem Impostor-Phänomen besser umzugehen:

Fünf gute Strategien gegen das „Ich kann nichts“-Gefühl:

  • Sich selbst Komplimente machen und für Erreichtes loben, z.B.: „Das hast du sehr gut gemacht, ich bin stolz auf dich!“ Studien zeigen, dass positive Zustimmung einen Effekt auf die eigene Wahrnehmung hat. Das gilt auch dann, wenn etwas schiefgeht: „Das macht gar nichts, nächstes Mal bekommst du es hin.“
  • Tagebuch führen: Das schriftliche Festhalten von Fortschritten trägt dazu bei, die eigenen Erfolge realistischer zu bewerten. Also jeden Tag aufschreiben, was man geschafft hat. Dazu gehören auch vermeintliche Kleinigkeiten oder Selbstverständliches wie: Die Kinder waren pünktlich in der Kita. Oder abends: Es leben noch alle!
  • Neue Herausforderungen trotz Versagensängsten annehmen. Dabei immer daran denken: Muskeln wachsen nur, wenn man sie beansprucht.
  • Offen mit Kollegen und Vorgesetzten über die Selbstzweifel und Versagensängste sprechen und damit Unterstützer für die Veränderung der eigenen Denkmuster finden.
  • Lob dankend annehmen und sich darüber freuen. Das Ziel ist es, ein Selbstwertgefühl zu verinnerlichen, das unabhängig von den Bewertungen anderer ist. Das Prinzip der Selbstwirksamkeit bedeutet, zu wissen, dass man schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen kann. Statt „Ich kann nichts“ heißt es dann „Ich kann was!“.
Nike van Dinther von This is Jane Wayne tätowierte sich als Reminder für mehr Selbstwertgefühl den Schriftzug „Enough“ auf den Arm. Dazu schrieb sie auf Instagram: „Jeder von uns, besonders die Menschen, die wir lieben, unsere Freunde, sie sind genug. Wir müssen nicht ständig nach mehr streben, wir sollten aufhören uns kleinzumachen, aufhören uns unsicher zu fühlen und aufhören uns zu vergleichen.“
Nicht perfekt, trotzdem genug – das ist ein schönes Mantra, um liebevoller mit unseren eigenen und den Schwächen der anderen umzugehen. „In den USA gelten Entrepreneurs, die fünf Firmen an die Wand gefahren haben, nicht als Versager, sondern sind Experten für das, was bei einer Gründung schieflaufen kann“, sagt Sabine Magnet. Es kommt also auf die Sichtweise, nicht das Problem, an.

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