Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, in der Liebe und beim Sex glücklich zu werden. Deshalb möchten wir euch in dieser und den nächsten Abo-Ausgaben Frauen mit ganz verschiedenen Wegen zum persönlichen Glück aufzeigen. Heute erzählt uns eine vierzigjährige Frau aus NRW, die ich persönlich kenne, genau wie die Interviewerin, wie es ist, sich sexuell nicht festzulegen.
Nach einer nach außen hin rein heterosexuellen Jugend, hatte sie im Studium eine lange Beziehung mit einer Frau. Heute ist sie wieder mit einem Mann zusammen und zweifache Mutter. Oft wird sie deshalb von anderen Frauen gefragt: "Sag`mal ehrlich, was war geiler?" Die 40-Jährige lässt uns hier an ihren ganz persönlichen Erfahrungen teilhaben – und stellt dabei eine interessante These auf, wie wir uns in Zukunft lieben werden.
Weil sie einen Beruf ausübt, der ihr verbietet, öffentlich aufzutreten (kein Scherz: Sie arbeitet undercover), müssen wir sie anonymisieren.
Herzlich,
Du warst sowohl mit Männern als auch Frauen zusammen. Würdest du dich als bisexuell bezeichnen?
Ich vermeide solchen Bezeichnungen lieber. Da ich mich aber in beide Geschlechter verlieben könnte, wohl ja.
Wie kam es, dass du dich nach einer langen Beziehung mit einem Mann plötzlich in eine Frau verliebt hast?
Ich war schon immer neugierig auf die Lesbenwelt und habe nach einer langen Beziehung mit einem Mann einfach angefangen in die entsprechenden Clubs bzw. auf Partys in Köln zu gehen. Das war Neuland für mich, das fand ich spannend. Wenn man sich darauf einlässt, dauert es auch nicht lange, bis Gefühle für jemanden entstehen.
Was war bei diesem Menschen ausschlaggebend: Der Charakter oder seine Geschlecht?
Der Charakter ist bei mir immer ausschlaggebend. Sowohl bei Männer als auch Frauen finde ich die Stärke anziehend.
„Jemanden, den ich doof finde, finde ich nie sexy.“ -
Was waren deine Sorgen oder Ängste dich als bisexuell zu outen?
Vor den Frauen musste ich mich nicht outen, die sind meistens offen. Das Outing in der Familie fiel mir schwer, weil ich keinen Stempel wie "Die ist nicht normal" haben wollte. Nach der großen Überwindung es zu tun, war es aber easy. Sie alle wollten nur, dass ich glücklich bin. Ob mit Mann oder Frau war ihnen dann letztendlich egal.
Flirten Frauen anders?
Nein, das Flirten unterscheidet sich meiner Meinung nach nicht. Da ist man genau so aufgeregt oder unsicher, wie bei einem Mann. Man unterhält sich, tauscht Telefonnummern aus und hofft, dass die andere sich meldet.
Wann konntest du dir das erste Mal vorstellen nicht nur eine Frau zu küssen, sondern auch mit ihr ins Bett zu gehen?
Das ging fließend ineinander über. Aber Sex mit Frauen ist gar nicht so einfach, wenn man davor mit Männern zusammen war. Wir alle haben durch Pornos, Medien und den Kontakt mit unsicheren Männern völlig schräge Vorstellungen von Sex. Ich auch und bin mit vielen Klischees da ran gegangen und gescheitert. Beim Sex mit einer Frau muss man authentisch sein. Die kriegen sofort mit, wenn man nicht ganz da ist, die Nummer nur durchzieht oder nichts empfindet. Für jemand wie mich, der ein Problem mit Nähe hat, war das eine große Herausforderung.
„Sex mit Frauen ist komplizierter, aber auf Dauer zielführender in Bezug auf Orgasmen.“ -
Lesbische Beziehungen suggerieren einen besseren Sex für die Frau: Stimmt das denn wirklich?
Ja, der Sex mit Frauen beinhaltet eine Orgasmus-Garantie, ist aber komplexer, da Emotionen nie weg gedacht werden können und ich nie Frauen ohne Respekt begegnen könnte. Das Respektlose zwischen Frau und Mann, das ja teilweise auch nur Spiel ist, aber oft durch die Porno-Welt überall in den Köpfen ist, macht Sex einfacher. Diese Klischees geben Rollensicherheit. Authentisch sein und Sex jenseits von Klischees neu zu erfinden, ist jedoch total schwer. Mir ist das noch nicht gelungen, aber ich habe auch keinen Bock auf einen esoterischen Überbau wie Tantra.
Kann man durch Sex mit einer Frau die eigene Sexualität überhaupt erst begreifen?
Ja. Viele Frauen trauen sich immer noch nicht, den Männern zu sagen, dass sie durch die reine Penetration nie und nimmer zum Orgasmus kommen. Wenn man generell Probleme mit der eigenen Sexualität hat, lohnt sich der Ausflug zu einer Frau, die dafür offen ist, definitiv. Mein heutiger Partner weiß, dass ich vorher was mit Frauen hatte und wollte sich da nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Es kann aber manchmal trotzdem ewig dauern, bis ich kommen kann – ich bin viel zu verkopft.
Wie genau hat sich dein Partner nicht die Butter vom Brot nehmen lassen? Ist er der Klitoris-König?
Männer müssen sich einfach mal bilden. Das Wissen steht überall im Netz – oder man fragt am besten die Frau direkt. Jede mag es ein bisschen anders. Gerne mache ich auch Werbung hier für eine gute amerikanische Stand-up Comedian namens Nikki Glaser. Sie klärt Männer zum Beispiel darüber auf, dass Frauen mit einem Schwanz im Hals nicht atmen können. Mein Mann bildet sich fortlaufend weiter, weil es ihm wichtig ist, dass ich zuerst komme und dann er. Da habe ich Glück. Und wenn ihm Alltag seine Gründlichkeit bei allem manchmal nervt, so ist sie mir im Bett doch sehr willkommen.
Wenn Sex mit Männern so unbefriedigend ist: Warum schnallen sich Frauen dann trotzdem Dildos um?
Frauen benutzen ja auch Dildos, wenn sie alleine sind. Das ist einfach vom Gefühl her schön, wenn Vagina und Klitoris gleichzeitig stimuliert werden.
Hat du vielleicht einen Trick für die Orgasmus-Garantie? Was tun Lesben da genau miteinander?
Frauen beziehen beim Sex ganz simpel die Klitoris mit ein. Denen muss man nicht erklären, dass das alte Rein-Raus-Spiel oder Hasengerammel zwar im Porno groß inszeniert wird, die meisten Frauen dadurch alleine aber nicht kommen können. Eine Frauenärztin hat mal zu mir gesagt "Nicht ohne Grund kann man in der Scheide betäubungsfrei nähen!" Dieses Körperteil ist auf die Geburt ausgelegt und nicht auf maximale Empfindsamkeit. Dafür haben wir Frauen die Klitoris.
Ist es dir nie schwer gefallen, plötzlich weibliche Geschlechtsteile zu befriedigen? Oder ist es einfacher, weil man selbst weiß, was wie gut tut?
Ich finde weder das eine, noch das andere Geschlechtsteil überragend designt. Das liegt aber bestimmt auch an dem schambesetzten Umgang damit. Die Zukunft wird spannend: Legen dann irgendwann auch die Männer auf ihre privat versendeten Schwanzbilder einen Filter?
Bleiben wir bei dem Klären von Klischees: Einer Frau wird von einem Mann das Herz gebrochen – daraufhin wird sie lesbisch. Sind Beziehungen zu Frauen weniger gefährlich?
Das glaube ich nicht. Ich kenne viele Frauen, die wirklich leiden, wenn sie von Frauen betrogen werden. Wenn man keine echten Gefühle hat, ist man weniger gefährdet, aber wenn die Gefühle echt sind, macht das keinen Unterschied. Frauen sind deswegen auch genauso eifersüchtig wie Männer.
Stichwort Diversity und sexuelle Orientierung: Heute darf man ja alles sein und morgen wieder was anderes. Trotzdem fällt es vielen schwer, sich auf eine feste Beziehung einzulassen. Woran liegt das?
Ich denke wir sollten beim Daten eher nach jemandem schauen, der zu unserem jeweiligen Lebensabschnitt und Bedürfnissen passt, als uns auf ein stereotypisches Rollenverständnis und Geschlecht zu beschränken. Das passt gut zu mir und meinen Vorstellungen. Ich glaube eh, dass die Zukunft sehr bunt wird, allein durch die zahlreichen Möglichkeiten das Geschlecht durch Kosmetik oder Operation anzupassen oder die verschiedenen Rollen, in die man dank Instagram & Co. schlüpfen kann. Die Geschlechterrollen werden insgesamt viel weicher.
„Wir werden uns in Menschen verlieben, nicht mehr nur in "Männer" oder "Frauen".“ -
In homosexuelle Beziehungen gibt es trotzdem oft eine klassische Rollenverteilung, in denen der eine Partner eher weiblich und der andere eher männlich ist. In welcher Rolle hast du dich wohler gefühlt?
Diese Rollenverteilung hat sich in meinem Kontakt mit Frauen als totale Finte herausgestellt. Oft waren hart wirkende Frauen zu Hause die Weichen und die weiblichen die Taffen. Am Anfang dachte ich auch, ich müsste eine feste Rolle übernehmen. Das war aber reine Unwissenheit.
Streitet man sich als lesbisches Paar denn besser bzw. verständnisvoller – oder ist das auch nur eine falsche Vorstellung?
Ja, man streitet sich anders. Frauen sehen die gleichen Dinge, arbeiten Hand in Hand und suchen nach einer Lösung. Das tut gut. Männern muss man immer sagen, was man empfindet und was sie tun sollen. Mich nervt es massiv, dass ich mich dauernd erklären oder Ansagen wie "Bitte putz die Toilette, wenn du drauf warst" oder "Siehst du nicht, dass das Kind erstickt?!" machen muss.
Auf der anderen Seite kann der große Redebedarf in einer Beziehung mit einer Frau zum Problem werden: Man ist eben nicht nur mit einer Partnerin, sondern mit der besten Freundin zusammen. So viel Nähe im Bett konnte ich persönlich irgendwann nicht mehr ab. Außerdem wollte ich Kinder. Meine Hormone haben mich quasi zurück zu einem Mann geführt, obwohl es ja heutzutage auch möglich ist, als homosexuelles Paar ein Kind zu bekommen.
Abgesehen vom Kinderwunsch: In welchem Punkt sind sowohl homo- als auch heterosexuelle Beziehungen deiner Erfahrung nach ähnlich?
Im Nachhinein denke ich, dass beide Beziehungen ähnlich laufen. Frauen sprechen mehr miteinander und verstehen sich auf mehreren Ebenen. Das kann helfen, muss aber nicht. Ich denke, es gibt immer Menschen, die einen triggern. Mit denen bleibt man zusammen, obwohl sie einen zur Weißglut bringen. Wenn man es schafft herauszufinden, warum man getriggert wird, ist das ein riesiger persönlicher Entwicklungsschritt.
Du bist heute wieder mit einem Mann zusammen und hast inzwischen zwei Kinder von ihm. Vermisst du etwas?
Mir fehlt heute nichts und ich möchte mit dem Vater meiner Kinder gerne zusammenbleiben. Durch zwei schwierige Geburten ist zwischen uns eine große Nähe entstanden, weil ich in diesen Extremsituationen meine Mauern nicht mehr aufrechterhalten konnte. Ohne ihn hätte ich das nicht geschafft – er kennt mich so gut, wie niemand anderes. Diese Nähe zuzulassen, hat mich persönlich weit nach vorne gebracht.
Alles ist also gut so, da ich viele Frauen als Freundinnen in meiner Nähe habe. Sex mit Frauen ist mir nicht mehr so wichtig. Ich brauche mehr das Reden. Sex mit Männern finde ich schön unkompliziert, daher liegt mir das zurzeit mehr.
Falls meinem Partner etwas zustoßen oder er mich verlassen würde, würde ich mich aber eher, statt eine neue Beziehung mit einem Mann einzugehen, für eine gute Freundschaft mit einer Frau entscheiden und mit ihr gemeinsam alt werden. Ich kenne viele Alterslesben, die sagen, dass ihnen Verständnis wichtiger ist, als Sex mit einem alternden Schwanz.