Elternsein & Geburt
Beispielwoche
Während Johanna Schultz in Köln eine TV-Sendung dreht, wuppen ihr Mann und Sohn den Alltag in Hamburg.
von Johanna Schultz - 18.08.2020
Diesen Text gibt es auch als Audio-Artikel. Zum Hören ans Ende des Artikels scrollen.
Vielleicht kennt ihr mich schon. Entweder hier vom Blog – Steffi war nämlich schon mal bei mir zuhause und wir haben eine Haustour gemacht – oder aus meinem Laden für Antiquitäten und Designfunde, den ich seit 2009 in Hamburg führe, oder vielleicht sogar aus dem Fernsehen? Seit Januar 2019 wirke ich nämlich im RTL-Format „Die Superhändler“ mit. In der Sendung geht es hauptsächlich um die Bewertung und den Ankauf von Antiquitäten. Ich liebe Vintagemöbel und stehe gern vor der Kamera, also vereint dieser TV-Job zwei meiner Leidenschaften. Als ich die Anfrage für das Fernsehformat bekam, war mir sofort klar, dass ich diesen Job unbedingt machen möchte. Doch der Drehort befindet sich in Köln, während mein Mann, mein fünfjähriger Sohn und mein Laden sowie Onlineshop fest in Hamburg verwurzelt sind.
Nach langen Gesprächen haben mein Mann und ich entschlossen: Ja, das bekommen wir hin – und ich konnte dem TV-Format zusagen. Letztes Jahr haben wir ca. 25 Wochen gedreht. Wir haben das große Glück, dass mein Mann selbstständig ist und sich seine Arbeitszeit selbst einteilen kann. Noch wichtiger: Er steht hinter mir und freut sich, dass ich so viel Erfüllung in dem neuen Projekt finde. Für ihn ist es ein Riesenspagat, da wir keine Eltern mehr haben und er in den Wochen, in denen ich drehe, ganz auf sich gestellt ist. Was passiert, wenn Mama nur noch am Wochenende zuhause ist und die Familie sowie das Geschäft ganz und gar auf sie verzichten müssen? Dieser kleine Einblick soll zeigen, wie mein Mann, mein Sohn und ich gemeinsam den Alltag erleben.

SONNTAG

Der Sonntag ist leider nicht mehr das, was er früher mal war. Sonntage sollten eigentlich immer etwas Entspanntes haben, ohne Arbeit und Verpflichtungen. Nun ist er entweiht, da ich während meiner Drehphasen sonntags nach Köln aufbrechen muss. Zum Glück brauche ich nicht viel packen, das erledige ich schnell am Morgen, damit ich es aus meinem Kopf streichen kann. Ich versuche, so lange wie möglich in Hamburg zu bleiben, das heißt, ich breche gegen 17 Uhr auf.
Wie ich mit dem mulmigen Abreisegefühl umgehe? Ich versuche, den Tag so zu planen, als ob ich gar nicht fahren müsste. Wenn wir etwa einen Ausflug unternehmen, nehme ich den Koffer direkt mit, sodass ich auf den letzten Drücker am Bahnhof ankommen und den Tag trotzdem noch mit meiner Familie genießen kann.
Freunde sind dann meist ganz überrascht, wenn ich erwähne, dass ich später noch nach Köln muss: „Du bist so ruhig und entspannt. Wenn ich wüsste, dass ich heute noch los muss, wäre ich viel angespannter“, sagen sie dann oft. Ja, was soll ich machen? Ich habe mich irgendwie daran gewöhnt und versuche, bis zum letzten Moment im Hier und Jetzt zu sein und nicht schon an die Arbeit zu denken.
Der Abschied ist nicht leicht. Wobei ich sagen muss, dass mein Sohn das wirklich gut meistert. Er darf sonntags „Lego Ninjago“ gucken, und zwar immer genau dann, wenn ich abfahre. Das macht ihm den Abschied nicht so schwer. Meine Gefühle sind ambivalent; ich habe ein schlechtes Gewissen, meinen Mann mit allen Aufgaben alleine zu lassen, aber ich freue mich auch auf meine Arbeit. Die Zugfahrt ist für mich immer wieder eine kostbare Zeit, deshalb habe ich mich bewusst dafür entschieden, mit der Bahn zu fahren und nicht zu fliegen. In Köln wohne ich dann in einem Apartment mitten in der Stadt. Mein Zuhause für die nächsten drei Arbeitswochen. Abends falle ich todmüde ins Bett – die neue Woche kann starten.

MONTAG

Der Tag beginnt für mich um 5.30 Uhr. Bevor ich um 7 Uhr abgeholt werde, möchte ich noch einiges machen, um mich auf den Tag vorzubereiten. Zuhause nehme ich mir stets vor, besonders früh aufzustehen, um noch E-Mails zu beantworten oder die Buchhaltung zu erledigen. Doch wenn mein Sohn leise neben mir schnarcht, ist die Versuchung liegen zu bleiben einfach zu groß. In der Regel schaffe ich es also nicht – wir kuscheln lieber, bis der Wecker klingelt. Anders als zuhause kann ich aber in Köln sehr diszipliniert sein. Es fällt mir dort sehr viel leichter, früh aufzustehen und mit meiner Morgenroutine zu beginnen: Haarkur, Meditation, Selleriesaft pressen (mein Wundermittel gegen unreine Haut) und die ganze Zeit über laute Musik hören. Der Morgen gehört mir.
Meine Drehtage laufen im Grunde immer gleich ab: Ich bin die Erste vor Ort und sitze eine ganze Stunde lang in der Maske. Das genieße ich sehr und schlafe meistens dabei nochmal ein. Meine Teammitglieder machen deshalb sehr gerne Späße über mich. Der Dreh läuft heute gut, alle haben gute Laune vom Wochenende. Nach der Arbeit schlendere ich noch durch die vollen Straßen in Köln. Die Leute sitzen draußen, überall befinden sich tolle Restaurants. Von unterwegs rufe ich zuhause an und die Stimmung dort scheint gut zu sein. Das erleichtert mich.
Ich suche mir in Ruhe ein Restaurant aus und beobachte die vielen Menschen. Früher bin ich nach der Schule häufig allein essen gegangen, weil meine alleinerziehende Mutter es nicht anders einrichten konnte.

„Ich merke wieder, wie gut es sich anfühlt, unter Menschen mit mir allein zu sein. “ -

DIENSTAG

Der Morgen verläuft eigentlich wie immer. Dann geht es mit dem ersten Exponat los. Eine lebensgroße Spiderman-Figur steht zum Verkauf. Ich habe leider überhaupt kein Interesse daran. Der Dreh macht natürlich mehr Spaß, wenn alle ein Exponat richtig gern haben möchten und darüber ein Wettkampf entsteht. Wir machen zwar Fernsehunterhaltung, aber trotzdem sind all unsere Aktionen im Studio echt. Wir bekommen keine vorgeschriebenen Texte, wir kaufen wirklich ein – und vor allem: mit unserem eigenen Geld. Deshalb ist es auch für uns manchmal sehr spannend, wer ein Stück ergattert oder nicht.
Wir ziehen den Drehtag immer schnell durch, mit wenig Pausen. Das macht mir viel Spaß und gerade weil wir frei und unvorbereitet sprechen dürfen, entstehen vor der Kamera oft witzige Situationen. Trotzdem sind solche Tage natürlich auch anstrengend. Kein Tageslicht, keine frische Luft – das kommt erschwerend dazu.
Heute steht nach dem Dreh noch eine Feedback-Runde an. Ich ertappe mich dabei, dass ich alle fünf Minuten auf die Uhr gucke. Um 19 Uhr ist Feierabend, endlich. Draußen ist es zwar total warm, aber es regnet. Deshalb esse ich abends noch etwas, das ich mir unterwegs geholt habe, vor dem Fernseher. Bevor ich meinen Mann kennenlernte, habe ich das oft und gern gemacht. Weil er dieser schönen Gewohnheit aber leider gar nichts abgewinnen kann, habe ich es sein lassen. Nun freue ich mich diebisch und genieße es. Im Anschluss rufe ich ganz in Ruhe zuhause an und falle um 22 Uhr ins Bett.

MITTWOCH

Langsam wird es in meinem Apartment unordentlich. Weil meine Unterkunft in Köln natürlich unpersönlich und nicht besonders schön ist, finde ich, dass meine Unordnung die Wohnung ein wenig personalisiert. Ich lasse den Koffer ausgeklappt mitten im Raum stehen, die Yogamatte liegt im Weg herum und die Klamotten liegen über den Stühlen. Ich brauche das, um den Ort zu besetzen und ihm meine Note zu verleihen. Mein Mann würde jedoch schmunzeln, wenn er das sehen würde. Er zieht mich nämlich immer damit auf, dass ich so unordentlich bin. Dabei denke ich, dass er einfach nur übertrieben ordentlich ist. Und ich? Bin natürlich ganz normal.
Der Tag verläuft wie immer. Ab 11 Uhr öffnen meine Mitarbeiter in Hamburg den Laden. Das bedeutet für mich, dass ich telefonisch erreichbar sein muss. Als ich bei den Superhändlern anfing, hatte ich drei große Sorgen: Kommt mein Sohn mit der Situation klar? Kommt mein Mann klar? Und: Was wird aus meinem Laden? Die Antwort:

„Mit mir geht es beiden besser, aber ohne mich geht es auch.“ -

Ich bin außerdem sehr froh, dass ich ein tolles Team um mich habe und mein Geschäft ohne Einschränkungen weitergelaufen ist. Seit einem Jahr habe ich mich nun schon fast ausschließlich aus der Ferne darum gekümmert. Ich habe wunderbare Menschen gefunden, die meinen Laden so führen, als wäre es ihr eigener. Auch zuhause war es anfangs gar nicht so leicht. Es war ein Prozess. Mein Mann und ich haben in unserer Beziehung unangenehme Erfahrungen machen müssen, die schmerzhaft und heilsam zugleich waren. Aber genau diese Erfahrungen haben uns fester verbunden. Wir können uns wieder komplett aufeinander verlassen und unterstützen uns. Ohne dieses Vertrauen wäre ein Leben, wie ich es jetzt führe, nicht möglich. Außerdem haben wir noch die beste Babysitterin der Welt, die immer einspringt, wenn mein Mann beruflich verhindert ist. Ich bin mir bewusst, dass ich mich damit sehr glücklich schätzen kann.
Was ich außerdem sehr an meiner Zeit in Köln mag, ist, dass ich mich voll und ganz auf eine Sache konzentrieren kann. Zuhause erwischt mich oft alles gleichzeitig. Ich denke an den Einkauf, hole den Kleinen von der Kita ab, transportiere Neonschriftzüge, muss Pakete zur Post bringen, ins Geschäft fahren, zwischendurch E-Mails beantworten und Anrufe abarbeiten. Wenn ich mit einer Sache beginne, denke ich gleichzeitig schon an die nächste und renne ständig der Zeit hinterher. Ich habe oft das Gefühl, nicht zu genügen oder nicht alles zu schaffen. In Köln kann ich nichts anderes machen. Ich arbeite. Mehr nicht. Das entspannt meine Gedanken ungemein.
Abends treffe ich mich mit meinen Superhändler-Kollegen. Wir gehen alle gemeinsam abendessen und reden viel über die Arbeit. Da es so eine eigene kleine Welt ist, mit eigenen Abläufen und Problemen, tut es uns allen gut, sich darüber auszutauschen.

DONNERSTAG

Die Woche ist fast geschafft. Hoffentlich sind wir heute früh fertig, denn ich habe um 19 Uhr noch eine Online-Wohnberatung eingeplant. Zum Glück kommen wir heute mit der Produktion gut durch, sodass ich es rechtzeitig in mein Apartment schaffe. Ich brauche einen kleinen Augenblick, um im Kopf umzuschalten – dann geht es los.
Für die Wohnberatung habe ich mich einige Tage vorbereitet. Alles findet online statt, da die Kunden in München leben. Heute reden wir über Wandfarben und hängen virtuell gemeinsam ein paar Bilder auf. Wohnberatungen sind etwas sehr Persönliches. Die Gespräche dazu sind intensiv und anstrengend zugleich. Nach einer Stunde sind wir fertig und ich bin im Eimer. Zuhause rufe ich nicht mehr an. Ich habe mich leer geredet und mag mit niemandem mehr sprechen. Eigentlich hatte ich im vergangenen Jahr freitags immer frei, sodass ich das Wochenende komplett zuhause sein konnte. Nun wird morgen auch noch gedreht, das ist nicht leicht für mich. Ich vermisse meine Familie. Morgen geht es aber nach Hause. Endlich!

FREITAG

Abreisetag! Morgens packe ich meine Sachen zusammen und – schwups – das Apartment ist wieder ordentlich. Ich fahre mit meinem Gepäck zum Dreh, um direkt von da nach Hause fahren zu können. Bei diesem Job weiß man leider nie, wann man fertig ist. Manchmal kommt man gut durch, manchmal scheint es ewig zu dauern. Freitags zittern immer alle, ob sie noch ihre Züge und Flüge bekommen. Das merkt man auch an der Stimmung. Ich versuche, konzentriert und schnell zu arbeiten. Wenn es sich verzögert, werde ich ungeduldig. Alle wollen nur noch nach Hause, die Nerven liegen blank.
Drehschluss ist um 17 Uhr und 30 Minuten später fährt mein Zug – das wird richtig knapp. Ich renne durchs Studio und muss sehr aufpassen, dass ich vor lauter Hektik nichts Wichtiges vergesse.
Die nächsten Stunden im Zug dauern ewig. Ich kann die Fahrt nicht genießen, weil ich einfach nur nach Hause will. Ich komme gegen 21.30 Uhr in Hamburg an. Mein Sohn schläft natürlich schon, aber mein Mann ist zum Glück noch wach. Draußen ist es warm und schön und wir entscheiden uns dazu, das Babyphone mitzunehmen und uns bei unserem Italiener vor der Tür hinzusetzen. Wir erzählen uns, wie die Woche war und was uns besonders bewegt hat. Abends kuschele ich mich ins Bett und bin total glücklich, zuhause zu sein. Es ist so schön hier.

SAMSTAG

Der beste Tag der Woche. Heute bestimmen mein Mann und mein Sohn, was wir machen. Früher habe ich samstags immer in meinem Geschäft gearbeitet, das kann ich jetzt natürlich nicht mehr leisten. Ich genieße jeden Augenblick mit meiner Familie. Wir gehen in unser Stammrestaurant und essen dort zu Mittag. Das fühlt sich immer wie Kurzurlaub in der eigenen Stadt an. Mein Sohn hat mich heute Papi statt Mami gerufen – das ist etwas merkwürdig. Auch ihn hat unser Alltag ein bisschen durcheinandergebracht, aber nach einem Tag läuft alles wieder rund und wir sind eingespielt. Alle Haushaltsaufgaben und das Einkaufen erledigt bei uns immer der, der zuhause ist. In der Woche macht das mein Mann, am Wochenende kümmere ich mich darum. Wenn ich nicht drehe, teilen wir uns alles gleichberechtigt.
Gerade wenn wir uns eingespielt haben, muss ich wieder los. Mich quält ein ständiges schlechtes Gewissen, weil ich bei vielen wichtigen Anlässen im Alltag nicht dabei sein kann. Aber ich glaube, dass es so vielen Frauen geht, die viel arbeiten. Nicht zuletzt erinnere ich mich daran, wie es meiner Mutter damals ging, genauso. Und dann denke ich an meinen Kindheitstraum zurück. Ich wollte so gern Schauspielerin werden. Das wäre doch mal was, wenn sich mein alter Traum durch die TV-Show jetzt noch erfüllen würde. Wer weiß.

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