Wir treffen uns bei ihr Zuhause. Eine gemütliche Altbauwohnung in Berlin Mitte.
Franziska von Hardenberg hat ihre drei Monate alte Tochter Hedi auf dem Arm. Ein Frühchen, diese Woche wäre ihr offizieller Geburtstag gewesen. Nur zwei Wochen nachdem Franziska ihren 45 Mitarbeitern im Juli 2017 mitteilen musste, dass ihr selbst gegründetes Unternehmen Bloomy Days insolvent ist, hatte sie eine Frühgeburt. In der 28. Woche. Hedi hat sich tapfer durchgekämpft und ist heute gesund und munter.
Dies ist das erste Interview, das Franziska gibt, seitdem klar wurde, dass ihr 2012 gegründeter Blumenversand Bloomy Days eine wichtige Finanzierungsrunde nicht schafft. Das in der Presse gehypte Start-Up, das sogar von Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht wurde, stand plötzlich vor dem Aus. Diverse Zeitungen haben Franziska seitdem um ein Interview gebeten. Aber die 33-Jährige wollte erst ein Mal verarbeiten, was alles in den letzten Monaten Turbulentes passiert ist und spricht heute zum ersten Mal darüber:
Du hast eine toughe Zeit hinter dir. Wie bist du da heil durchgekommen? Wer hat dir geholfen?
Eine sehr gute Freundin, die selbst Unternehmerin ist, hat mir sehr zur Seite gestanden. Als Freundin kann man aber nur bedingt Rat geben. Es geht eher darum: wen kann man in so einer Situation überhaupt noch ertragen und an sich ranlassen. Ich glaube, durch so eine harte Zeit kommt man nur mit irre großer Disziplin. Sich zu konzentrieren und es durchzuziehen. Ich habe in den drei Wochen als wir das Insolvenz-Verfahren voranbringen mussten bis zur Verkündung bei den Mitarbeiterin nicht ein Mal meine Eltern, mit denen ich sehr eng bin, angerufen. Weil ich es nicht ertragen hätte.
„Ich wusste, wenn ich die Stimme meiner Mutter höre, dann bricht alles zusammen.“ -
Ich habe auch mit meinem Mann nicht viel darüber gesprochen. Der wusste natürlich grob, worum es geht, aber es war nicht so, dass wir Abende lang hier gesessen und uns darüber unterhalten haben, was das für Konsequenzen hat. Das kann ich einfach nicht. Ich muss dann alle Kraft zusammen nehmen, um da durchzukommen. Zu wissen, dass mein Mann und meine Familie mich sehr lieben und jederzeit stützen würden, allein der Gedanke hat gereicht.
In der ganzen Zeit bist du deinem Mann nicht ein Mal schluchzend in die Arme gefallen?
(überlegt länger) Ich glaube nicht. Ich kann mich an eine Situation erinnern, in der ich schwanger mit Hedi plötzlich Schmerzen am oberen Bauch hatte und mich ausm Büro verabschiedet habe, um Home Office im Liegen zu machen. Ich rief meine Hebamme an und sagte, sie solle bitte sofort kommen, irgendwas sei nicht in Ordnung. Als sie da war, schaute sie mich an und fragte: „Mit deinem Baby ist alles okay, aber was ist denn eigentlich los bei dir?“ Da brach ich in Tränen aus und schluchzte: „Ich glaub, ich verliere meine Firma.“ Das war der einzige Moment, in dem alles mal zusammen gebrochen ist.
Ehrlich gesagt habe ich nie richtig begriffen, was mit Bloomy Days passiert ist. Ich dachte, ihr wärt super erfolgreich...
... das waren wir auch. Es lief richtig gut, in 2016 haben wir unseren Umsatz verdreifacht, lagen 2017 20 Prozent vor Plan, der eine erneute Verdopplung vorsah. Wir waren kurz davor, endlich profitabel zu werden, nur hätten wir dafür noch eine letzte Finanzierungsrunde gebraucht sprich Geld von außen. Aber dann platzte eine Option dafür nach der anderen und am Ende war klar – wir werden den Betrieb nicht am Laufen halten können. Das ist das Absurde an Start-Ups: Man investiert immer mehr Geld als man einnimmt. Und wenn das nicht funktioniert, dann war’s das. Ich fand es auch lustig, dass die Leute sagten: "Jetzt seid ihr pleite." Wir waren fucking immer pleite! Wir haben noch nie Geld verdient!
Was mir nicht einleuchtet ist, dass ihr eine super Idee hattet mit den Blumen-Abos, ihr die Ersten wart und trotzdem findet man nicht genügend Geldgeber.
Das verstehen wir auch bis heute nicht. Mittlerweile glaube ich, dass der Finanzierungsmarkt noch so männerdomeniert ist, dass sie das Bedürfnis für dieses Produkt nicht richtig erkannt und verstanden haben. Sie haben den Bedarf gar nicht gesehen. Was ich oft von Männern gehört habe, war:
„„Warum soll ich denn meiner Frau Blumen im Abo schenken? Dann denkt die doch, ich habe eine Affäre!“.“ -
Also wenn ich ihr etwas Gutes tue, heißt das doch, ich hätte etwas falsch gemacht. Das hat mich schon sehr erstaunt. Frauen haben sofort mit „Ich liebe das!“ auf unser Produkt reagiert, Männer hingegen hatten negative Gefühle.
Und die Männer ließen sich nicht mit deinem Erfolg, deinen Zahlen et cetera überzeugen?
Das hätte ich auch gedacht. Ich bin aktuell noch in der Analyse was da genau passiert ist. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es auch mit daran lag, dass ich einen eher ungewöhnlichen Finanzierungs-Weg für ein Start-Up gegangen bin. Gestartet sind wir unter anderem mit Crowdfunding, später habe ich nur so viel Kapitel aufgenommen, dass ich mein Mitspracherecht in dem Ausmaß wie ich es gern haben wollte, nicht verliere. Und somit waren unsere Zahlen zwar gut, aber nicht wie sie im Handbuch der klassischen Start-Ups hätten sein müssen zu dem Zeitpunkt. Einfach vielleicht nicht schnell genug. Eine starke Marke aufzubauen dauert eben Zeit. Oder viel Geld. Da wir das nicht hatten haben wir mehr Zeit gebraucht. Da blinken die Excel-Tabellen schon panisch rot, bevor sich jemand das Business mal wirklich angeschaut und andere Stärken gesehen hat.
Und eine weibliche Geldgeberin konntet ihr nicht finden?
Doch, das ging nur leider in die Hose, weil sie sich nicht an die Vereinbarungen hielt und die Einzahlungen machte wie vertraglich abgesprochen. Das hatte uns tierisch viel Zeit gekostet, weshalb wir auf den klassischen Weg zurückkehrten. Aber apropos Frauen: Für mich war neben der Sorge um meine Mitarbeiter ein sehr schlimmes Gefühl, als Vorbild zu versagen. Viele junge Frauen bewunderten meinen Mut, meinen Traum zu verwirklichen und ich dachte, wenn die sehen, dass ich scheitere, denken sie:
„Bei der war doch sogar die Kanzlerin! Wenn die das schon nicht hinbekommt, dann brauch ich doch gar nicht erst anfangen!“ -
Was war das für eine Tag als ihr entschieden habt, es lohnt sich nicht mehr weiterzukämpfen?
Na ja, wenn du ein Start-Up gründest und es ist nicht profitabel, dann ist der Gedanke des potentiellen Scheiterns nicht komplett fern. Es beherrscht einen nicht, aber man wacht nicht morgens plötzlich auf und denkt: Oh Gott, ich kann die Rechnung nicht mehr bezahlen. Wir wussten also, wenn uns die letzte Finanzierungs-Option platzt, finden wir so schnell keine neuen Investoren, um das Ganze noch zu retten.
Ich wollte möglichst transparent erzählen, was bei uns los ist. Mir war wichtig, unsere Situation ein Mal darzustellen so dass dann keine Gerüchte kursieren, sondern jeder aus meinem Brief abschreiben und niemand etwas dazu dichten kann. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass er so eine Welle der Solidarität auslöst. Ich habe über 500 Nachrichten bekommen. Von Gesellschaftern, Investoren, ehemaligen Mitarbeitern, von so vielen Menschen.
Was war denn deine größte Sorge, bevor du den Brief veröffentlicht hast?
Meine größte Sorge war wahrscheinlich der public failure. Wir haben in Deutschland einfach keine Kultur des Scheiterns.
„Wahrscheinlich hatte ich Sorge, öffentlich hingerichtet zu werden. Dafür, dass ich es nicht geschafft hatte. Aber genau das Gegenteil trat ein.“ -
Natürlich reden die Leute hinterm Rücken, aber alles was bei mir angekommen ist, ist ein unfassbar großes, positives, unterstützendes Feedback. Mehr als 100.000 Menschen haben diesen Brief gelesen. Und ich glaube, dass er vielen Mut gemacht hat. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich glaub, so hat das auch noch nie jemand gemacht. Sich hinzustellen und zu sagen: so ist es, das ist die Situation, die ist echt Scheiße, aber wir versuchen gerade dafür eine Lösung zu finden. Davor hatten anscheinend viele Respekt. Für mich war es ein wichtiges Learing zu sehen, dass wenn man am Boden liegt, niemand kommt und noch kräftig nachtritt. Eigentlich reicht dir jeder eine Hand zum Aufstehen.
Noch vor dem Facebook-Post hast du deine Mitarbeiter informiert.
Als gerichtlich alles zum Insolvenzverfahren eingereicht war, durften wir endlich mit unseren Mitarbeitern sprechen. Dafür habe ich einen sechsseitigen Brief geschrieben, weil ich wusste, dass ich vor lauter Tränen keinen klaren Gedanken mehr fassen werde können. Schon auf Seite eins habe ich so geheult, dass ich nicht mal mehr die Buchstaben erkennen konnte. Es war so brutal diese großartigen Menschen, die alles gegeben hatten für uns, so enttäuschen zu müssen. Ich dachte, dass ich ihnen absolute Transparenz schuldig bin und habe genau erklärt, wo was wann wie leider nicht geklappt hat und wie es zu diesem Ende gekommen ist.
Hat dein Selbstbewusstsein unter dem Scheitern deiner Firma gelitten?
Es klingt vielleicht absurd, aber ich bin sehr gestärkt aus dieser Situation herausgegangen, nicht geschwächt. Das sehe ich auch an Jobangeboten, Speaker-Anfragen etc. – ich habe fast das Gefühl, mein Marktwert hat sich eher noch gesteigert als verringert.
Auch dein eigenes Gefühl?
Absolut! Ich nehme es nicht als Scheitern an. Ich sehe es wirklich als massive Erfahrung, die mich einfach so unglaublich viel weiter gebracht hat. Ich habe alles, was ich mir mit Bloomy Days vorgenommen habe, erreicht. Bis auf das Happy End, den lukrativen Verkauf. Was nie meine primäre Motivation war. Ich bin kein monetär getriebener Mensch. Natürlich möchte ich genügend zum Leben haben, aber das Ziel war nie bis 30 Millionärin zu werden. Vielleicht wurde mir auch das zum Verhängnis.
„Mein Reichtum sind die unzähligen Ideen, die ich habe.“ -
Du siehst dich nicht als gescheitert?
Für mich ist scheitern, wenn du Gelder veruntreust, Leute bescheißt, dich unlauter verhältst, nicht nach den Regeln eines ehrbaren Kaufmanns agierst, wenn du anfängst Deals zu machen, die nicht in Ordnung sind. Dass wir unsere letzte Finanzierung nicht bekommen haben, ist für mich kein scheitern. Alles andere hat ja funktioniert. Die Entscheidung, diesen Weg zu gehen, ist für mich aus einem Moment der Stärke entstanden und nicht aus einem der Schwäche.
Wirst du noch mal ein Start-Up gründen?
(lacht) Ich wollte nie ein Start-Up gründen, ich wollte immer ein Unternehmen werden. Ich habe 2012 gegründet und habe immer gesagt: ich möchte, dass die Bundeskanzlerin mal zu Besuch kommt!
Bitte erkläre mir, wie das geklappt hat!
Ich war mit Philipp Rösler in Silicon Valley, der war der erste Politiker, der wirklich begriffen hat, dass wir eine Gründerkultur in Deutschland brauchen. Das war der Grundstein, dann habe wir noch eine Initiative gegründet, uns gesellschaftlich und parteiübergreifend engagiert und irgendwann kam dann ein Signal aus dem Konrad Adenauer Haus, dass wir Chancen hätten Angela Merkel und die Start-Up-Szene zusammen zu bringen. Also haben wir einen Salon konzeptioniert und sie persönlich eingeladen.
Da schreibt man dann „Liebe Frau Bundeskanzlerin...“...
Wir haben glaube ich „Sehr geehrte Frau Dr. Merkel geschrieben...“. Viel wichtiger war, dass sie hinter die Einladung persönlich schriftlich einen grünen Haken gesetzt hat. Das ist das Zeichen für – sie kommt. Und wenn man einen Abend mit der Kanzlerin ausrichtet ist das Schöne – da kommen wirklich alle, die man eingeladen hat. Da hast du eine Zero-No-Show-Rate.
Kommt da vorab ein Besuchs-Trupp, der alles abriegelt und überprüft?
Aber hallo, da kam das BKA mit Spürhunden und es gibt einen minutiösen Ablaufplan. Als sie uns bei Bloomy Days besucht hat, hatten wir exakt 20 Minuten. Somit haben wir den Ablauf vorher diverse Male geübt, damit es auch ja alles klappt.
Bleibt da Zeit für persönliche Momente?
Was viele vielleicht nicht wissen: Frau Merkel schaut sich die Einladungslisten persönlich an, fragt auch nach, warum der oder dafür aber die nicht eingeladen ist. Versucht so viel wie möglich selbst zu entscheiden, hat ein unglaubliches Gedächtnis. Sie wusste immer um unser Engagement. Bei einer Verleihung kam sie mal rein, sah mich im Publikum und winkte mir zu. Das war schon toll, aber dann hörte ich auch noch, dass sie wohl allen großen Tieren, den Vorständen einiger DAX Konzerne, in der ersten und zweiten Reihe erzählte, wer ich sei und was ich machen würde. Das macht mich schon stolz.
Bei eurem Salon hattet ihr beide etwas Orangenes an – war das abgesprochen?
(lacht laut) Das ist die mir am häufigsten gestellte Frage! Natürlich wusste ich nicht, was sie trägt! Und wie bekloppt wäre ich denn bitte gewesen, wenn ich es gewusst hätte, ebenfalls etwas in Orange anzuziehen! Nein, das war purer Zufall.
Hat sie sich bei dir gemeldet nach eurer Insolvenz?
Wir haben uns bei einem Ladies Lunch kurz vor der Wahl noch mal gesehen. Das war drei Wochen nach der Frühgeburt, aber ich dachte, ich muss da hin. Es war nur ein kleiner Kreis, ich kam eine Minute nach ihr, sie drehte sich um und fragte: „Wie geht’s Ihnen denn?“ Und ich dachte in dem Moment, sie meint das Ende von Bloomy Days und sagte: „Ja, ganz gut, vielen Dank, den Umständen entsprechend! Aber vielleicht haben Sie ja gehört, ich hatte eine Frühgeburt...“ und dann haben wir uns darüber unterhalten. Sie fragte sehr interessiert nach, war unglaublich persönlich interessiert. Ich mag sie menschlich einfach so gerne. Ich glaube, sie weiß wie schwer es manchmal sein kann und urteilt nicht über Erfolg oder Misserfolg. Wir mögen uns. Sie ist die mächtigste Frau der Welt, was sehr beeindruckend ist. Sie ist ein großes Vorbild.
Wird man als Gründer eigentlich finanziell aufgefangen nach einer Insolvenz? Bekommst du Arbeitslosengeld oder ähnliches?
Nee! Das war eine brutale Erkenntnis. Am Ende des Tages hatte ich keinen Laptop mehr, kein Telefon, das lief alles über die Firma und musste ich abgeben. Das war schon hart.
Hast du jetzt Schulden?
Nein, das ist alles abgewickelt über den Verkauf des Unternehmens. Für mich persönlich war es nicht gewinnbringend, bis auf die Erfahrungen.
Und was hast du in Zukunft vor?
Ich schaue mir verschiedene Themen an, möchte sehr gern nächstes Jahr etwas Neues machen. Nach diesen Erfahrungen bin ich wahrscheinlich unanstellbar, das funktioniert einfach nicht mehr. Aber ich habe schon eine neue Idee: ich werde eine Firma mit meinem Vater zusammen gründen. Er ist Professor für Gynäkologie, in dem Bereich werden wir etwas zusammen machen. Was ich sehr schön finde. Ach, weißt du:
„Das was mir passiert ist, ist wie ein Reitunfall. Du musst aufstehen und dich wieder aufs Pferd setzen.“ -
Es bringt meiner Meinung nach nichts, sich einzuigeln. Ich weiß, dass ich zwei Wochen nach der Frühgeburt bei unserem Insolvenzverwalter saß und der sagte: „Sie sehen ja aus, als sei nichts gewesen!“ Und ich sagte: „Ja, das nennt man Disziplin.“
Am Ende wird einem aber auch bewusst, dass das Berufliche nicht alles ist. Uns macht so viel mehr aus als diese eine Sache. Das darf man nie vergessen.
Vielen Dank für das offene Gespräch, liebe Franziska!
P.S.: Wer Franziska folgen möchte auf ihrem weiteren Weg, kann dies ganz einfach über Instagram. Ihr Nutzername dort ist
@sissihardenberg.