Diesen Text gibt es auch als Audio-Artikel. Zum Hören ans Ende des Artikels scrollen.
Homeoffice also. In all den Jahren, die ich jetzt schon berufstätig bin, hatte ich noch keinen einzigen Tag von zuhause aus gearbeitet. Für meinen Blog Inattendu natürlich schon, aber nicht in meinem Hauptberuf als Creative Director einer Designagentur. Der erste Morgen fühlte sich ein bisschen an wie Schuleschwänzen. Ich hatte eine halbe Stunde länger geschlafen als sonst – kein Arbeitsweg mehr – und beschloss beim Zähneputzen, die Schminkerei heute zu skippen. Und auch das Anziehen bürotauglicher Kleidung. Großartiges Gefühl. Beschwingt schlenderte ich zum Esstisch, da wartete er bereits vorwurfsvoll. Der iMac mit dem riesigen Display, den ich aus der Agentur mitgenommen hatte, fast so breit wie der gesamte Tisch, ein Fremdkörper im Raum. Eine Müslischale wird schon Platz finden, dachte ich mir – und damit fing es an, die Disziplinlosigkeit im Homeoffice.
Es sollte ungefähr zwei Wochen dauern, bis ich mich wieder gefangen hatte. Zwei Wochen im Pyjama vor dem Computer sitzen, den ganzen Tag nicht aus dem Haus gehen, vor dem Bildschirm essen und auch nach Feierabend noch Mails lesen, weil man sie eben sieht. Dann wurde klar, dass diese Pandemie noch eine ganze Weile andauern würde.
„Die ungekämmte Jogginghosen-Version meiner selbst ging mir auf die Nerven.“ -
Am allermeisten nervte der riesige, vorwurfsvolle iMac auf dem Esstisch. Ein Schreibtisch musste her. Das Modell stand schnell fest: Monterey von Montana. Ein schlichter, klassischer Schreibtisch, den es nicht nur in verschiedenen Höhen, Längen und Tiefen, sondern leider auch in 42(!) verschiedenen Farben gibt. Gut vier Wochen vergingen, bis ich immerhin eine Vorauswahl von acht Farbkärtchen getroffen hatte. Die hängte ich dann an die Wand, um sie im Raum und bei unterschiedlichem Licht „wirken zu lassen“. Jeden Morgen hatte ich einen anderen Favoriten.
Der vorwurfsvolle iMac stand aber immer noch auf dem Esstisch, Eile war geboten. Entgegen meiner sonstigen Liebe zu Pastellfarben überraschte ich mich eines Morgens selbst und orderte den Monterey in „Masala“, einem kräftigen, dunklen Weinrot. Als er Wochen später endlich eintraf, ging das Möbeltetris los.
„Auf keinen Fall wollte ich einen Schreibtisch im Schlafzimmer stehen haben.“ -
Blieb also nur der Wohn- und Essbereich. Nach einigem Hin und Her hat der Schreibtisch am Ende in einer kleinen Nische am Fenster seinen Platz gefunden, von wo aus ich auf die Straße schauen kann und ab 10 Uhr die Wintersonne auf mein Pult scheint. Nicht auf den Bildern ist der
About-A-Chair-Soft-Schreibtischstuhl von Hay, dieser lässt noch auf sich warten, aber durch Corona bin ich jetzt, was Warten betrifft, Zen-Meister. Für all die kleinen Dinge und als Postablage benutze ich die
Toolbox von Vitra. Im
Dandelion-Briefbeschwerer spiegelt sich zart das Sonnenlicht, sein Anblick macht mir immer gute Laune. Scheint die Sonne nicht, sorgt die
Flowerpot-Lampe in Rosa von &tradition für ausreichend Licht.
[show_shopthepost_widget id="4362426"]
Ich überlege immer noch, ob ich Bilder über den Schreibtisch hängen soll. Da aber auf meinem Bildschirm immer viel los ist, genieße ich momentan die ruhige, weiße Wand dahinter. Vielleicht ändert sich das noch. Auch in diesem Fall bleibe ich meiner bewährten Einrichtungsmethode „Step by Step“ treu – nichts muss sofort entschieden oder fertig sein. Lieber schiebe ich Möbel noch eine Weile hin und her, setze mich drauf und schaue, wie der Raum aus dieser oder jener Perspektive wirkt. Auch Bilder hänge ich grundsätzlich nie sofort an die Wand, immer lehne ich sie erst mal ein paar Tage davor und manchmal landen sie dann an einem ganz anderen Platz, als ursprünglich gedacht war. So ist alles immer in Bewegung, Einrichten hat für mich etwas Spielerisches.
Läuft also ganz gut, mein Leben im Homeoffice. Mittlerweile gehe ich wieder tageweise in die Agentur, aber an den anderen Tagen mache ich mich auf zum „Fake-Arbeitsweg“. Ich spaziere jetzt jeden Morgen, bevor ich mit der Arbeit loslege, zum Bäcker um die Ecke und hole mir einen Kaffee. Dauert zwar nur zehn Minuten, aber man fühlt sich sehr frisch danach. Außerdem ziehe ich mich anständig an, trage ab und zu sogar in der Wohnung Schuhe und verabrede mich mit Freund*innen regelmäßig zu Mittagsspaziergängen.
Problematisch finde ich neben der Nähe zum Kühlschrank jedoch die Verlockung des Onlineshoppings. Immerhin kenne ich inzwischen den DHL-Mann sehr gut. Er mag Corona, sagt er. Weil die Leute jetzt alle zuhause sind, er seine Pakete meistens beim ersten Zustellversuch los wird und er jetzt endlich die Gesichter zu den Namen an den Türschildern kennt.
Abgesehen von meinem Fake-Arbeitsweg, Videocalls mit Kund*innen und Kolleg*innen und meinem Onlineshopping passiert allerdings leider nicht viel im Homeoffice. Bis auf dieses eine Mal ...
Gerade vom Mittagspausenspaziergang mit einer Freundin zurückgekehrt, registriere ich drei Anrufe in Abwesenheit – von einer mir unbekannten Nummer. Achselzuckend setze ich mich wieder an den Schreibtisch, doch kurze Zeit später erscheint die Nummer erneut auf meinem Display. Es scheint wirklich dringend zu sein, denke ich, und gehe ran.
Am anderen Ende: Rauschen und eine dunkle Stimme.
„Hallo, schöne Frau, bist du zuhause?“
„Äh ... hallo?“
„Ich bin gerade bei dir gewesen, aber du warst nicht zuhause. Komme gleich noch mal!“ Sofort lege ich auf.
„Wer ist dieser unverschämte Typ? Gedanken rasen durch meinen Kopf.“ -
Wem habe ich denn jetzt schon wieder meine Nummer gegeben? Erneut leuchtet das Display. Meine anfängliche Entrüstung verwandelt sich in nackte Panik. So muss das sein, wenn man einen Stalker hat! Was mache ich, wenn der jetzt wirklich vor der Tür steht? Hastig schließe ich die Wohnungstür ab und tigere durch den Flur. Woher weiß der, wo ich wohne? Auf dem Tisch leuchtet mein Handy abermals auf. Als wäre es eine fette Spinne, nähere ich mich ihm langsam auf Zehenspitzen und schiele aufs Display. Kein Anruf, aber eine SMS.
„Ich bin’s doch, dein DHL-Mann! Komme jetzt dein Paket holen, bist du zuhause?“
Mir wird heiß. Der Abholtermin für die Retoure! Wie konnte ich das nur vergessen. Ich rufe zurück, entschuldige mich wortreich. Er lacht. „Ich komm dann jetzt das Paket holen, okay?“
Wenn der DHL-Mann jetzt bald noch meinen richtigen Schreibtischstuhl liefert, halte ich es noch eine Weile hier aus.
Porträtfoto: Nina Maier