Meine Sehnsucht nach einem eigenen (Reihen-)Häuschen ist in der Coronakrise geradezu explodiert. Die Quarantäne in der hellhörigen Altbauwohnung mit sich beschwerenden Nachbarn war eine Herausforderung (um es so positiv wie möglich zu formulieren) und auch unser Glück im Schrebergarten hat mir gezeigt: Das ist es, was ich mir wünsche – Ruhe im eigenen, kleinen Gärtchen mit Wohnhaus dran. Dafür verzichte ich auch gern auf vieles andere.
Gleichzeitig frage ich mich aber auch: Ist es die beste oder bekloppteste Idee, jetzt eine Immobilie zu kaufen? Was, wenn die Krise noch länger dauert oder eine zweite schon im Anmarsch ist? Wie finanziert man Eigentum so, dass es krisensicher ist? Über all das habe ich mit Investmentbanker und Finanzguru
Gerd Kommer gesprochen. Kommer hat Bücher geschrieben mit Titeln wie „Immobilienfinanzierung für Selbstnutzer – Geld sparen und Fehler vermeiden beim Kauf der eigenen vier Wände“ und „Kaufen oder Mieten? Wie Sie für sich die richtige Entscheidung treffen“.
Die wichtigsten Antworten zu diesen Fragen, die ich mir natürlich auch stelle, hat er im Interview beantwortet:
Ist es die beste oder die bekloppteste Idee, jetzt eine Immobilie zum Selbstnutzen zu kaufen?
Jetzt ist vermutlich ein günstigerer Zeitpunkt, eine Immobilie zu erwerben, als noch vor drei Monaten. Ein Indikator dafür sind die Aktienkurse der beiden größten Wohnimmobilienanbieter in Deutschland, der Vonovia SE und der Wohnen SE. Diese beiden großen Unternehmen, die viele hunderttausend Wohnungen in ganz Deutschland vermieten, sind an der Börse im Coronacrash sehr deutlich eingebrochen – derzeit um rund 20 Prozent. Das ist, glaube ich, ein guter Indikator für den Wohnimmobilienmarkt im Allgemeinen.
Die Preise von Wohnimmobilien werden in nächster Zeit wohl nach unten gehen und das werden wir in den Zahlen Ende des Jahres dann auch sehen.
„Es ist jetzt also ein guter Zeitpunkt, um sich umzuschauen!“ -
... und um Ruhe zu bewahren, oder? Es ist ja nicht so, dass die Preise sofort nach unten gehen werden. Aktuell sieht man die alten Immobilienpreise ja noch online.
Ja, das ist der richtige Ansatz, einfach noch abwarten. Die Verkäufer von Wohnimmobilien spüren, sehen und ahnen die fallende Tendenz und halten sich jetzt erstmal zurück. Senken ihre Angebotspreise also nicht sofort.
Zu denken, dass gerade noch 650.000-Euro-Immobilien bald nur noch 450.000 Euro kosten, ist aber auch falsch gedacht. Es wird ja keinen großen Immobiliencrash wie Anfang 2000 geben.
Das sehe ich auch so. Der Wohnimmobilienmarkt ist ein kurioser Investmentmarkt, weil er besonders stark von Emotionen, Weltanschauungen und Lifestyle-Entscheidungen beeinflusst wird. Das hat man, nur mal als Vergleich, beim Kauf von Staatsanleihen nicht. Im Allgemeinen verändert sich der Wohnimmobilienmarkt nur langsam. Wie schnell ein Preisrückgang geschieht, lässt sich nicht so einfach voraussagen. Das kann ganz langsam gehen, peu à peu über 15 Jahre hinweg jedes Jahr ein oder zwei Prozent runter, oder es kann ratzfatz gehen. 2006 bis 2008 beim Immobiliencrash in Amerika brachen die Preise in San Francisco in nur 24 Monaten um etwa 50 Prozent ein. Repräsentative, aussagefähige Zahlen für den deutschen Markt wird es frühestens in sechs Monaten, eher in zwölf geben. Aber ich bin überzeugt: Die Preise werden in den überteuerten Großstädten eher fallen.

Auf der anderen Seite gibt es gefühlt nur noch so wenig freie Immobilien, beispielsweise in Hamburg, dass man, wenn man überhaupt eine angeboten bekommt, das Gefühl hat, sie nehmen zu müssen.
Das ist in einer gewissen Weise sicherlich richtig. Das Gefühl, es gäbe nichts oder nicht die Art von Immobilie, die man in einem bestimmten Ort oder in einer Region sucht, ist immer da. Das war auch schon vor fünf Jahren so, obwohl die Preise damals niedriger waren. Zugleich hatten die Leute damals aber auch niedrigere „subjektive Preisobergrenzen“. Das Gefühl, dass es für das Geld, das ich für meine Wunschimmobilie an meinem Wunschort bezahlen kann oder will, kaum Angebot gibt, ist der Normalfall: Heute, vor drei Jahren und vor 30 Jahren. Nur wir vergessen oder verdrängen im Rückblick, wie es in der Vergangenheit war. Immobilienpreise sind übrigens in Deutschland – jedenfalls im nationalen Schnitt – relativ zu den erzielbaren Mieten und relativ zu den durchschnittlichen Einkommen nicht extrem hoch, auch wenn das viele Ihrer Leser sehr erstaunen mag.
Mich erstaunt das ehrlich gesagt auch ...
Zwei Beispiele: In Kanada oder Australien ist das Verhältnis Wohnimmobilienpreise zu durchschnittlichen Einkommen ungünstiger, also teurer, als in Deutschland. Aber wir Deutschen sind im Vergleich zu anderen Ländern historisch besonders niedrige Immobilienpreise gewöhnt. Natürlich könnte man sagen, der nationale Durchschnitt ist für jemanden, der in einer der teuren „Big-Seven-Städte“ – Berlin, Hamburg, München, Köln, Stuttgart, Düsseldorf, Frankfurt – lebt, nicht relevant, aber 85 Prozent der Haushalte in Deutschland leben halt nun einmal außerhalb dieser sieben Städte. In den teuren Großstädten dürfte die Coronakrise die Preise jedenfalls eher nach unten drücken.
... also eher Ruhe bewahren oder Gebiete in Betracht zieht, die man vorher nicht auf dem Zettel hatte?
Ja genau.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch viele, die ihre Finanzierung fürs Haus beziehungsweise die eigene Wohnung nicht mehr halten können in dieser Krise. Da frag ich mich nur: Hat man dann seine Finanzierung nicht von vornherein falsch aufgestellt? Braucht man nicht immer einen Krisenpuffer für Jobverlust, Tod des Partners et cetera?
Absolut. Niemand sollte wirtschaftliche Vorhaben tätigen, die nur im Best Case oder Mid Case funktionieren. Es muss immer auch der Worst Case durchgespielt werden. Mindestens das Drei- bis Fünffache der monatlichen Lebenshaltungskosten sollte man als Cashreserve auf einem eigenen Tagesgeldkonto für Notfälle platzieren. Das muss auch in „normal schlechten Zeiten“ unantastbar sein. Besonders für jemanden, der eine Immobilienfinanzierung an der Backe hat. Und niemals sollten mehr als 70 Prozent des gesamten Kaufpreises inklusive der Nebenkosten wie Grunderwerbssteuer und Maklerkosten für die Immobilie durch Fremdkapital finanziert werden. Weil es sonst zu sehr auf Kante genäht ist.
Welchen anderen Fehler machen noch viele Immobilienkäufer?
Der sogenannte Investment Creep ist auch sehr gefährlich. Dahinter steckt das Phänomen:
„Frisch gebackene Immobilieneigentümer verhalten sich plötzlich viel spendabler bei der Einrichtung als vergleichbare Mieter.“ -
Plötzlich soll es – ich übertreibe jetzt mal – kein normaler Wasserhahn mehr sein, sondern das Designer-Piece aus gebürstetem Flugzeugstahl. Motto: „Jetzt muss endlich mal alles richtig schön sein.“ Viele empfinden diese für ein, zwei Jahre nach dem Kauf anhaltenden Einrichtungsorgien nicht als Konsum und „Geld ausgeben“, sondern als „Investition“. Nur ist das offen gesagt Quatsch ...
... das verliert ja sofort an Wert und nutzt sich ab und niemand zahlt einem später beim Kauf da noch groß was für, oder?
Genau. Und es gibt eine gute Gegenfrage: Hätte man die gleiche Anschaffung als Mieter gemacht? Wohl eher nicht. Diese Kosten kommen dann auf das Fremdkapital noch on top und fressen den Puffer auf, den man eigentlich für extreme Notlagen einkalkuliert hatte. Das kann zum finanziellen Genickbruch führen. Wenn man nicht Krösus ist oder einen sehr, sehr hohen Notgroschen parat hat für Krisenzeiten.
Worauf würden Sie gerade noch achten, wenn Sie krisensicher eine Immobilie erwerben möchten?
Eine wichtige Frage ist auch: Wie sicher ist mein Einkommen? Eine Beamtin ist natürlich besser abgesichert als eine Selbstständige. Deshalb ist es wichtig, dass Selbstständige einfach noch mehr Puffer mit einplanen. Wenn genügend Eigenkapital vorhanden ist, würde ich Selbstständigen zu einer 50-Prozent-Finanzierung raten. Das hat den Vorteil, dass man, falls Einkünfte wegbrechen, eine Tilgungsstundung bei der Bank beantragen kann, sprich eine Zeit lang nur noch die Zinsen zahlen. Das ist bei einer 90-Prozent-Finanzierung nicht so einfach möglich. Die Banken verhandeln leichter mit einem, wenn sie sehen, dass man noch Rücklagen hat und die Immobilie deutlich mehr wert ist als der Kredit.
Wem würden Sie generell dazu raten, lieber zu mieten als zu kaufen?
Viele denken in Deutschland fälschlicherweise, dass mieten weniger rentabel ist als kaufen. Ein Beispiel: Ich habe 200.000 Euro als Eigenkapital und möchte eine Immobilie für 800.000 Euro kaufen mit meinem Partner. Oder ich könnte die gleiche Immobilie mieten. Sagen wir mal, es geht um zwei Doppelhaushälften: Die Meyers haben das gleiche Eigenkapital und kaufen die Immobilie mit einem Kredit über 600.000 Euro. Und das andere Paar, die Schulzes, ziehen in die andere Haushälfte mit gleichem Eigenkapital, mieten aber. Alles ist identisch, Einkommen, Eigenkapital. Die Schulzes legen ihr Eigenkapital in Gestalt eines supersimplen ETF-Aktiendepots sowie in Tagesgeld an und jeden Monat zahlen die Meyers ihre Kreditannuität, sprich Zins und Tilgung plus Instandhaltungskomponenten, Grundsteuer und Versicherung. Unter normalen Umständen werden die Schulzes pro Monat 20–30 Prozent weniger ausgeben als die Meyers. Und das Gesparte geben die Schulzes als Fondssparplan brav und diszipliniert mit ETFs an die Bank. Zwanzig, dreißig Jahre später haben die Schulzes vermutlich mehr Nettovermögen.
Diese Schulzes sind aber auch auf Zack!
Ja, die Meyers haben eine entschuldete Immobilie, aber die Schulzes hatten eigentlich immer den gleichen Wohnnutzen und haben ein Bankdepot, das mehr wert ist als das Haus der Meyers. So war es jedenfalls überwiegend in den letzten 50 Jahren in Deutschland. Allerdings ist die Realität so, dass die Schulzes die 20–30 Prozent, die sie jeden Monat weniger für „Wohnnutzen“ ausgeben als die Meyers, für Konsum verballern: größeres Auto, teurerer Urlaub, teurere Hobbys und so fort. So herum haben dann natürlich am Ende die Meyers mehr.
Sprich, der Spruch, man würde die Miete zum Fenster rauswerfen, stimmt so nicht.
Absoluter Unsinn! Wer die gleiche Spardisziplin an den Tag legt wie ein Immobilienbesitzer und das Geld anlegt, kann genau das Gleiche, wenn nicht sogar mehr erwirtschaften an Wert für die Vorsorge.
Und Sie glauben weiter an ETFs?
Auf jeden Fall! Aktien- und Anlagen-ETFs breit streuen ist nach wie vor eine gute Idee.
Herzlichen Dank für Ihre Tipps, Herr Kommer!
Ich hoffe, das motiviert euch, eure Finanzen und Träume anzugehen, auch trotz Krise. Oder sagen wir es lieber so: dank der Krise vielleicht sogar noch besser vorbereitet als vorher.
Herzlich