Gefühle & Gedanken
Ein Wort mit magischer Wirkung
5 Wege, wie man entspannt Nein sagt – Alexa hat sie lange gesucht und endlich gefunden!
von Alexa von Heyden - 01.01.2022
Die Audiodatei gibt es hier als Download.
  
Mein Vorsatz für das neue Jahr: noch häufiger Nein zu sagen. Ich habe erst kürzlich damit angefangen, aber es ist der Hammer, was seitdem alles passiert ist. Vielleicht ist das auch was für euch? Vorab erzähle ich euch die Geschichte, wie ich lernte, überhaupt Nein zu sagen.
Als erwachsene Frau gab es immer wieder Situationen, in denen ich mich wie ein kleines Schulmädchen fühlte. Zum Beispiel, wenn ich mit dem festen Vorsatz, „Nein“ zu sagen, in eine Besprechung ging und mich innerhalb weniger Minuten belabern ließ, eine Aufgabe zu übernehmen, auf die ich eigentlich keinen Bock hatte. Wenn mein Gegenüber stark und selbstbewusst genug schien, knickte ich ein und landete schnell beim „Okay“ oder – noch schlimmer – „Na klar, kein Problem“.
Dabei war es ein Problem. Der Job stresste mich. „Warum hast du nicht einfach Nein gesagt?“, fragte mich mein Mann, weil ich danach so unendlich sauer auf mich selbst war. Ja, warum nicht? Weil Nein sagen eben nicht einfach ist.

„Ich komme aus einer Generation, die glaubt, dass beruflicher Erfolg nur dank hart gepanzerter Pflichterfüllung und sadomasochistischer Selbstaufgabe gelingen kann.“ -

Auch privat steht Harmonie über allem. Begriffe wie Selbstfürsorge, Achtsamkeit, Me Time gab es früher nicht und damit auch kein Bewusstsein für die eigenen Grenzen. In dem ersten großen Büro, in dem ich gearbeitet habe, hing ein großes Poster an der Wand, auf dem geschrieben stand: „Don’t cry – work.“ Wenn ich heute vor Zen-Botschaften wie „Breathe“ oder „But first, coffee“ stehe, muss ich deshalb immer einen Augenblick schmunzeln.
Ich dagegen hatte dieses „Weine nicht – arbeite“ oder „Nur die Harten kommen in den Garten“ so sehr verinnerlicht, dass ich wie eine Söldnerin jeden Auftrag annahm, egal wie schmal das Budget, knapp die Abgabe oder hanebüchen das Thema war. Ich wollte nicht nur auf jeder Hochzeit tanzen, sondern auch die Letzte sein, die nach Hause geht. Die Hauptsache für mich war, dass ich als gute Arbeitnehmerin galt, die pünktlich, zuverlässig und vielseitig einsetzbar ist – und darüber hinaus für super Stimmung sorgt. Ich wollte ja wieder gebucht werden. Zwischendurch saß ich heimlich heulend auf dem Klodeckel und fragte mich, ob ich jemals aus diesem Hamsterrad entkommen würde. Dann ging ich zurück zu meinem Platz und tippte weiter.
Aber meine Tätigkeit bleibt von Veränderung geprägt. Magazin um Magazin wurde eingestampft und damit auch alle meine Hoffnungen. Ich kam zu dem Schluss, dass ich wohl immer noch nicht mein Bestes gegeben hatte, sonst würde ich wohl kaum arbeitslos auf der Straße stehen. Ich bekam zunehmend Angst vor Kolleg*innen, die talentierter, jünger oder cooler waren als ich, und bürdete mir noch mehr Arbeit auf.
Ihr ahnt, was passierte. Das Ganze flog mir um die Ohren. Ich konnte meine Aufgaben nicht mehr bewältigen und erfand in letzter Minute komplizierte Ausreden, warum ich zu spät war, etwas doch nicht geklappt hatte oder ich absagen musste. Daraufhin passierte das: Meine Abgaben wurden immer knapper, die Honorare kleiner und die tollen Jobs bekamen die anderen. Ich war frustriert und fühlte mich fremdbestimmt. Niemand schien Respekt vor mir zu haben. Auch die Familie forderte mich.

„„Everybody`s Darling, Everybody`s Depp“,“ -

kommentierte meine Freundin Nicole und stellte fest, dass ich in der Nettigkeitsfalle gelandet sei. „Ich gebe doch alles!“, antwortete ich. „Genau das ist dein Fehler“, sagte sie. „Die Leute trampeln auf deinem Grundstück herum und zerstören deine Blumen. Es wird Zeit, dass du einen Zaun aufstellst“, mahnte sie. Blumen? Zaun? Ich verstand nur Bahnhof.
Als ich letzten Sommer mein neues Buch zu Ende schreiben musste, wusste ich nicht mehr wohin mit dem Druck. Es war, als würde ein Riese neben mir stehen und dauernd ins Ohr brüllen. Ich pushte mich mit Kaffee, machte mein armes Kind zur Sau, es solle sich schneller anziehen, damit wir es rechtzeitig zum Frühstück in die Kita schafften. Dann hetzte ich in mein Büro. Vormittags schrieb ich, nachmittags arbeitete ich hektisch meine anderen Jobs ab.
Lange glaubte ich, nebenbei ein Buch schreiben zu können, bis ich mit Bruststechen und Ohrensausen bei meiner Hausärztin saß und die mir erklärte, dass ich Bluthochdruck habe. Ich dachte immer, meine roten Wangen wären Sonnenbrand vom Fahrradfahren. Herz-Kreislauf-Störungen sind für eine Frau über 40 nicht ungewöhnlich, aber ich hatte es in den letzten Jahren professionell versäumt, mich ausreichend um meine wichtigste Mitarbeiterin zu kümmern. Mich selbst. Nicht nur indem ich mich gesund ernähre und Sport treibe, sondern indem ich immer wieder genüssliche Pausen einschiebe, statt streberhaftes Multitasking zu zelebrieren.
Ich wollte keine Medikamente nehmen müssen, um diesen Job weiterzumachen. Das Nein und ich, wir mussten also neue beste Freunde werden. Bloß wie sollte das gehen? Ich hatte Angst, jemanden zu enttäuschen, wollte nicht unhöflich sein und war der felsenfesten Überzeugung, man würde mich nicht mehr mögen oder als „schwierig“ empfinden. Ich fand keinen Ansatzpunkt.
„Veränderung lässt sich durch kleine, überschaubare Schritte, immer nur wenige auf einmal, erreichen“, weiß die britische Psychologin Jacqui Marson („Zu nett für diese Welt? Wer Nein sagen kann, hat mehr vom Leben“). Anhand der Form eines Dreiecks erklärt sie, dass unsere Gefühle, Gedanken und unser Verhalten voneinander abhängen. Ändern wir einen Punkt, etwa unser Verhalten, verändern sich automatisch unsere Gefühle und Gedanken. Dieses Muster ermutigte mich, in Babysteps mein Nein zu üben.
Na dann, los! Ich sagte Nein zu Kooperationsanfragen, bei denen es um Putzgeräte, Zahnaufhellung oder ätherische Öle ging. Für andere Aufträge verlangte ich dafür konsequent mehr Geld. Ich sagte nicht nur Nein zu einem unterbezahlten Redaktionsjob in München, sondern auch kurzfristige Dinner-Einladungen ab, bei denen ich trotz der Anrede „Hallo Liebes ...“ offensichtlich nur die zweite Wahl war und mich deshalb den ganzen Abend fehl am Platze fühlen würde. Ich sagte Nein zu Weihnachten bei den Schwiegereltern, weil ich mit Mitte 40 endlich meine eigene Tradition pflegen möchte. Auch als mein Mann fragte, ob ich den Kinderdienst mal wieder die ganze Woche allein wuppen könne, sagte ich Nein. Dass er und seine Kollegen deshalb sauer waren, nahm ich in Kauf. Denn unter dem Strich waren immer alle zufrieden, nur ich nicht.

„„Es ist ein Hohn, dass wir unsere Zimmerpflanzen jeden Tag gießen, aber unsere Sehnsüchte verkommen lassen“,“ -

schreibt der Autor Martin Wehrle in seinem Buch „Sei einzig, nicht artig!“. Der Karriere- und Lebenscoach ist davon überzeugt, dass die Gefahr, die eigenen Wünsche und Träume zu verraten, noch nie so groß wie heute war. Die Globalisierung und der Einfluss der sozialen Medien sorgen dafür, dass wir alle immer ähnlicheren Idealen nachlaufen. Das Problem ist: Es wird immer jemanden geben, der durch Zufall oder Glück noch mehr erreicht, wofür sich andere aufopfern müssen. Die Frage an dieser Stelle aber lautet: Was will ich eigentlich selbst? Was sind meine Werte? Was wünsche ich mir?
Mein Wunsch im vergangenen Sommer war ganz konkret: mein Buch zu Ende zu schreiben, ohne einen Schlaganfall zu bekommen. Nur Medikamente würden mir dabei nicht helfen. Ich musste das Nein klar und deutlich aussprechen, damit ich wieder gesund wurde UND meine Abgabe einhalten konnte.
Was ich schnell feststellte: Das Wort mit vier Buchstaben hat eine magische Wirkung. Der Himmel stürzte nicht wie erwartet über meinem Kopf ein, stattdessen herrschte befreiende Klarheit. Die Menschen gingen plötzlich auf meine Forderungen ein, zeigten Verhandlungsbereitschaft oder bedankten sich sogar bei mir! „Gut, dass du Bescheid gibst ...“, sagte eine Kollegin, „... jetzt kann ich besser planen.“ Ich war total baff und übte weiter.

Inzwischen beherrsche ich fünf Wege, wie ich entspannt Nein sagen kann:

  1. Das diplomatische Nein: Ich lehne ab, mache aber einen Gegenvorschlag. „Nein, heute kann ich nicht. Wie sieht es nächste Woche/nächsten Monat/im Frühjahr bei dir aus?“
  2. Das liebevolle Nein: Ich lehne ab, bedanke mich aber für die Anfrage. „Nein, das passt nicht zu mir. Aber lieb/nett/schön, dass du an mich gedacht hast.“
  3. Das kategorische Nein: Ich lehne ab und lasse durch eine nachvollziehbare Erklärung keine Fragen offen. „Nein, an diesem Tag bleibt die Kita geschlossen und meine Tochter ist zuhause. Die Frist schaffe ich nicht.“
  4. Das souveräne Nein: Ich lehne ab und behalte die führende Rolle in der Kommunikation. „Nein, im Moment passt es nicht. Aber sollte es in Zukunft für mich infrage kommen, melde ich mich.“
  5. Das endgültige Nein: Ich lehne ab und mache deutlich, dass ich generell nicht infrage komme – und spiele den Ball weiter. „Nein, da sehe ich mich nicht. Bitte frag jemand anders.“
Fällt euch was auf? Die beiden Worte „leider“ oder „vielleicht“ kommen kein einziges Mal vor. Ich begriff: Wenn ich freundlich, aber bestimmt Nein sage, verletze ich nicht zwangsläufig die Gefühle der anderen. Stattdessen setze ich meine Position durch. Und daran ist nichts auszusetzen. Viel unhöflicher wäre es, meine Überforderung weiter in Kauf zu nehmen, um dann alles plötzlich komplett hinzuschmeißen – das ist mir in der Vergangenheit schon zwei Mal passiert und die Menschen, mit denen ich damals zusammengearbeitet habe, reden heute wirklich nicht mehr mit mir.

„„Niemand wird nett geboren“,“ -

unterstreicht die Psychologin Jacqui Marson und gibt zu bedenken, dass Nettsein eine Sammlung von Überzeugungen und Verhaltensweisen ist, die wir als Kinder lernen. Viele Eltern – ich gehörte bislang dazu – loben in der Erziehung ihrer Kinder nicht, wie sie sind, sondern was sie tun. So manifestiert sich in den kleinen Köpfen, dass Liebe an eine Bedingung geknüpft ist.
Ich war bereit, diesen Mist hinter mir zu lassen, und wurde noch mutiger. So mutig, dass ich einen ganzen Monat für mein Buch blockte, alle Termine absagte und nur für Familie und Freund*innen erreichbar war. Mein Blutdruck senkte sich, die Kopfschmerzen vergingen und unser Haussegen ruckelte sich wieder gerade. Ich begriff: Wenn ich Nein sage, habe ich nicht nur mehr von meinem Leben. Ich kann viel besser in dem sein, was ich tue. Das Feedback zu meinem Manuskript war nämlich hervorragend.
Das Nein in meinen Wortschatz aufzunehmen, war für mich, als würde ich eine neue Sprache lernen. Aber nur so entkam ich der Nettigkeitsfalle und konnte mich um die Dinge kümmern, die mir wirklich wichtig waren. Selbstbestimmung bedeutet eben nicht nur selbst zu entscheiden, was man tun möchte. Sondern das zu tun, was einem guttut. „Na, wie läuft`s?“, fragte meine Freundin Nicole. „Ich habe jetzt einen Zaun“, sagte ich. Wir mussten beide herzlich lachen.

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