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Einfach mal weg sein. Einfach mal irgendwo hinfliegen, ohne zu wissen, wann man wiederkommt. Einfach mal tschüss sagen, ohne zu wissen, wann man wieder hallo sagen kann. Einfach mal raus sein, von allem, was sich ständig reinzeckt – in die Gedanken und den Terminkalender.
„Einfach mal …“ war nie einfach für mich. Da gab es immer diesen ganzen Batzen Leben, der es unmöglich zu machen schien, sich dem „einfach mal …“ einfach mal hingeben zu können. Ein Doppelstudium und zwei Jobs parallel, um über die Runden zu kommen, inklusive dauerleeren Bankkontos zum Beispiel. Oder Jobs, die so einnehmend waren, dass die einzig freie Zeit das nächtliche Träumen selbst war. Oder all die Menschen, die auf einen zählten – das 180-köpfige Team auf Führung, Expertise und Motivation; Familie, Freund*innen und Partner auf gemeinsame Momente, die zur Abwechslung mal länger als 180 Sekunden dauerten.
Es war immer irgendwas oder irgendwer Grund genug, um ein weiteres Feld in meinem Terminkalender bunt zu färben.
„Nur ich selbst war nie Grund genug.“ -
Bis vor Kurzem war mein Leben tutti completti fremdbestimmt. Wie so üblich haben Traumjobs einen Haken. Und als internationale Vice President der globalen Medienkonzerne VICE und Refinery29 war mein Haken, dass andere – Brands, Kund*innen, Unternehmen – über meine Zeit bestimmten. Und wie so üblich, wurde genau das, von dem ich zu wenig hatte, mein wertvollstes Gut: die Freiheit, über meine Zeit selbst bestimmen zu können. Anstatt es meinem großen Kindheitsidol Pippi Langstrumpf gleich zu tun und mir meine Welt so zu machen, wie sie mir gefällt, war ich in Wirklichkeit einfach nur eine hilflos zappelnde Marionette meines Jobs und einer ganzen Branche geworden. Im Trott des Alltags und der Schnelligkeit des Lebens, das ich führte, schlich sich dieser Prozess unbemerkt durch die Hintertür und nahm auf einmal mein ganzes Sein ein – auch wenn ich eigentlich etwas ganz anderes sein wollte.
Also tat ich das, was ich immer tue, wenn ich nicht mehr glücklich bin und sich die Realität nicht mehr nach mir anfühlt: Ich krempelte die Ärmel hoch und mein Leben um.
Ich kündigte mitten in der Pandemie nicht nur meinen Job, sondern hängte auch nach zwölf Jahren vorerst die Medienbranche an den Nagel und stellte mich beruflich mit der Gründung einer Interieur-Brand und zwei weiteren Firmen komplett neu auf. Vor allem aber stellte ich mein berufliches Set-up um: in eines, das es mir erlaubte, von überall aus zu arbeiten.
Ein halbes Jahr später saß ich kurz nach meinem 35. Geburtstag bei Kaffee und Kuchen auf der Couch meines 69-jährigen Mentors und war zwar stolz wie Bolle, dass ich es geschafft hatte, alle Marionettenfäden zu trennen – aber da war immer noch dieses unsägliche Gefühl, dass irgendwas nicht stimmte; der Furz, der quer saß; das Herz, das zu schwer zum Hüpfen war; die Mundwinkel, die es nicht schafften, gegen die Erdanziehungskraft anzukommen.
Ich war nicht glücklich. Trotz allen Umkrempelns, Machens und Tuns. Scheiße.
„„Du musst dahin gehen, wo dein Herz Purzelbäume schlägt“,“ -
sagte mein Mentor zu mir – und mit einem Bissen Erdbeerkuchen im Mund wurde mir auf einmal alles klar: Ich hatte den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen, weil ich schlichtweg vergessen hatte, nach Purzelbäumen Ausschau zu halten.
Meine Purzelbäume waren schon immer die Neugier auf Fremdes gewesen: fremde Länder, fremde Sprachen, fremde Kulturen und große Abenteuer in fremden Ländern. All die Zeit dachte ich, dass das Aus-dem-Koffer-Leben Teil des fremdbestimmten Problems gewesen war, ohne zu verstehen, dass die Inspiration und der Input aus dem Fremdem genau das war, was mich in meinem 24/7-Job am Leben hielt – und was mein Herz seit anderthalb Jahren Pandemie so sehr vermisste.
Also packte ich meine Koffer und beschloss, wortwörtlich dorthin zu gehen, wo mein Herz Purzelbäume schlagen konnte: im Sommer auf Inseltour nach Ibiza und Griechenland und weil das so gut funktionierte, gleich anschließend im Herbst nach Lissabon und Los Angeles.
„Na, du hast ein Leben ...“, schrieben mir einige nörgelnd auf Instagram, ohne zu wissen, dass die Antwort darauf mich nicht glücklicher hätte machen können. Ja, ich hatte ein Leben – und zwar mein eigenes, das ich mir durch harte Arbeit in bester Pippi-Manier geschaffen hatte, wie es mir gefällt. Und weil ich zum ersten Mal „einfach gemacht“ habe (was mein Mentor mir geraten hatte) und das so gut klappt, mache ich mit dem „einfach machen“ einfach weiter, denn „einfach machen“ ist jetzt eine Realität geworden, die sich gerade richtig anfühlt.
„Nicht mehr der Job bestimmt jetzt mein Leben, sondern mein Leben bestimmt, welchen Job ich wie ausübe.“ -
Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich in einem alten Eames Lounge Chair in West Hollywood und die Sonne scheint mir auf mein Gesicht – im Februar. Ich bin jetzt seit dem zweiten Weihnachtsfeiertag unterwegs und war bis vor ein paar Tagen auf Tour durch Mexiko: erst drei Wochen am Strand an der Küste um Puerto Escondido, dann eine Woche in Oaxaca-City und anschließend zwei Wochen in meinem geliebten Mexiko-City. Seit August war ich zusammen genommen nur acht Wochen zuhause in Berlin.
„Wie funktioniert das alles …?“, schreiben mir wiederum andere verwundert auf Instagram. „Ehrlich gesagt, ziemlich gut“, darf ich selbst verwundert antworten.
Verwundert deshalb, weil ich zwar bereits seit über einer Dekade von überall aus arbeitete (und glaubt mir, „überall“ beinhaltet jegliche erdenkliche Situation: an Flughäfen, Bahnhöfen, in Taxis, Tuktuks, neben der Musikbox bei Events, in der Front Row bei Modenschauen, in Küchen von Restaurants …), das aber immer mit sehr viel Stress, Unruhe und Nervosität verbunden war. Remote Work war bislang immer ein absoluter Hassle gewesen, denn es bedeutete meist, keinen geregelten Tagesablauf zu haben und dass es ständig irgendwie zu Missständen kam: Misskommunikation mit dem restlichen Team, Missmut bei anderen Kolleg*innen, wieso man unterwegs war, während sie selbst im Büro saßen, und Missstände in mir selbst, weil meine Gesundheit komplett missachtet wurde.
Heute ist aber alles anders.
„Remote Work und Homeoffice sind dank der Pandemie nicht nur Buzzwords, sondern Lebensrealitäten für viele geworden.“ -
Das geht aber nur, wenn sich der Mindset gegenüber dem Thema ändert: von einem „geht nicht“ zu einem „geht doch!“ – und zwar nicht nur bei den Kolleg*innen, sondern vor allem bei einem selbst.
Natürlich muss für Remote Work das Set-up stimmen und natürlich ist das einfacher umzusetzen, wenn man selbst die Chefin ist. In meinem Unternehmen basiert jegliche Kommunikation und Interaktion vor allem auf Vertrauen und Freiheit. Das Vertrauen in die Mitarbeiter*innen und Geschäftspartner*innen ist, dass ihnen die Arbeit und gute Resultate wichtig sind und sie dafür alles tun – und solange das gut funktioniert, können sie arbeiten, von wo aus auch immer sie wollen. Und Freiheit ist, dass sie die Aufgaben und Projekte in ihrem eigenen Set-up umsetzen können – solange das Endresultat top ist, ist der Weg dorthin nebensächlich. Die wichtigsten Prinzipien in allen zwischenmenschlichen Beziehungen sind für mich genau das: Vertrauen darin, dass wir alle an einem Strang ziehen, und Freiheit dahingehend, dass jede*r ihr*sein Leben so leben kann, wie sie*er möchte. Als ich den Job im Konzern gekündigt habe, wusste ich sofort, dass ich nur so (und nur genau so) jemals meine eigenen Unternehmen führen möchte.
Damit Remote Work funktioniert, muss vor allem also eines stimmen: das Mindset – bei den Chef*innen, dass sie ihren Mitarbeiter*innen vertrauen können und dass das Endresultat gut wird; und bei sich selbst, dass Remote Work überhaupt möglich ist.
„Das geht bei mir nicht!“, höre ich meistens, wenn ich über meine jetzige Situation spreche. „Das scheinbar Unmögliche möglich machen“ ist aber der Mindset, in den man sich begeben muss:
„vom Nay-Sayer zum Yay-Sayer!“ -
Man muss wahnsinnig organisiert sein und Abstriche machen, aber darüber hinaus gibt es keine Tipps, die bei allen funktionieren, weil jedes Leben, jeder Job, jeder Alltag so unfassbar unterschiedlich ist. Was aber alle Menschen gemein haben, ist der Mindset und der Wille, es in ihrem Rahmen möglich zu machen – so klein und unperfekt dieser Rahmen und so widrig die Umstände auch sein mögen.
Heute schreiben mir viele wundervolle Frauen auf Instagram, was passiert ist, als sie zum Yay-Sayer wurden und die Priorität auf Remote Work gelegt haben – es sind alleinerziehende Mütter, die ihre Kids aus dem Kindergarten mit on Tour nehmen; es sind Frauen in Führungspositionen, die die Unternehmen gewechselt haben, um mehr Flexibilität zu bekommen, es sind Angestellte, die unbefristete Arbeitsverträge aufgegeben haben, um als Freelancer von irgendwo anders aus weiterzumachen, es sind Familien, die die Sommerferien der Schulkinder nutzen, um in diesen Wochen von woanders aus zu arbeiten. Es sind Frauen mit allen möglichen Backgrounds, Bankkonten und Realitäten. Sie alle tragen Verantwortung und ihre eigenen Päckchen auf dem Rücken. Aber sie alle haben beschlossen, YAY zu etwas zu sagen, das sie selbst gerade glücklich macht, und damit auch NAY zu etwas, das lange ihr Alltag und das Altbewährte war.
Wir alle sind so busy … so unfassbar busy. Immer ist irgendwas, immer ist irgendwer. Immer gibt es Gründe (so viele Gründe!), etwas nicht zu tun. Immer gibt es „Weils“ (so viele Weils!), wieso etwas nicht geht. Von „Ich kann nicht, weil …“ zu „Das geht nicht, weil …“ ist da ein ganzes Spektrum an Gründen und Weils. Und bei alledem vergessen wir, was eigentlich wäre, wenn wir den Fokus und die Energie darauf verwenden, das ganze Spektrum unserer Träume, Wünsche und unseres Lebens möglich zu machen, statt Gründe und Weils zu bedienen.
Ich glaube fest daran, dass vieles im Leben möglich ist, wenn man es nur wirklich will und die Prioritäten dahingehend anpasst. Diese Einstellung habe ich bestimmt auch von meinen Eltern mitbekommen, die trotz schwieriger Umstände vieles möglich gemacht haben. Sie haben in den 80ern beschlossen, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen und mit einem Koffer in der Hand in einem fremden Land ein neues Leben aufzubauen. Sie haben mir vorgelebt, was alles geht, wenn man nur will und gleichzeitig bereit ist, Abstriche zu machen. Ist das dennoch eine privilegierte Ansicht? Zu einhundert Prozent. Aber jede*r von uns, die*der das hier liest, ist überaus privilegiert. Ich wollte nicht die Person sein, die auf ihrem privilegierten Hintern auf der Couch sitzt und in Gründen und Weils ertrinkt. Dann schon lieber diejenige, die selbigen privilegierten Hintern hochhebt und mit viel Elan, Einsatz und Organisation ihre Träume und Wünsche Realität werden lässt.
Nach zwölf Jahren Durchackern und Auf-der-Karriereleiter-Hochackern meine eigenen Unternehmen aufzubauen und im Pandemie-Winter der Dunkelheit und drückenden Stimmung entfliehen zu können, ist ein absoluter Luxus und ein wahres Privileg. Jedoch sind Privilegien keine Selbstverständlichkeit und deshalb ist es umso wichtiger, sie richtig zu nutzen.
„Privilegien auszuleben ist eine Frage der Prioritäten.“ -
Man kann nicht alles gleichzeitig im Leben haben – und das gilt auch für Remote Work. Wer von überall aus arbeiten möchte, begibt sich raus aus der Komfortzone, die der physische Kontakt zu Kolleg*innen und das Büro bietet, und rein in den Wirbelwind an flexiblen Lösungen, die sich oft um Zeitzonen und die Stärke des WiFis drehen. Sprich: Jede Menge Calls zu den wildesten Uhrzeiten und jede Menge mentaler Stärke, weil das WiFi genau dann abbricht, wenn man im millionenhohen Kunden-Pitch sitzt oder man das Gefühl hat, zu sehr raus aus allem zu sein. Remote Work bedeutet, seine Familie und Freund*innen nicht zu sehen, einiges an Privatem zu verpassen, den Verlust von Nähe zu dem Team und von Easy-Access zu den Chef*innen. Remote Work setzt auch einiges an Vertrauen zu den Mitarbeiter*innen und in die eigenen Fähigkeiten voraus, genaue Organisation und vor allem jede Menge Eigendisziplin. Remote Work bedeutet dann aber auch, dass man manchmal den Laptop zuklappt und den Strand direkt vor Augen hat oder mit Leuten aus aller Welt connecten kann, die im Café neben einem sitzen und ihre Geschichte erzählen.
Für mich persönlich bedeutet Remote Work vor allem Freiheit, Inspiration und Input von allem Fremden bekommen zu können – und meinem Spektrum an Träumen, Wünschen und Leben näher zu kommen. Heute ist mein Kalender immer noch bunt gefärbt, aber neben allen beruflichen Terminen auch mit ganz vielen bunten Einträgen für mich selbst – WEIL ich mir Grund genug bin. Und wenn mich Leute fragen, wann ich wieder zurückkomme, zucke ich mit den Schultern – WEIL ich es nicht weiß. Das sind aber diese WEILs, die ich mehr als gerne in mir trage. Weil durch sie mein Herz Purzelbäume schlägt.