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Als mein Sohn erst ein paar Monate alt war, besuchte ich mit ihm eine Pekip-Gruppe. Irgendwann saßen wir zusammen, während unsere Babys die Auslage an anregendem Babyspielzeug besabberten, und sprachen über dies und das, bis eine Mutter plötzlich sagte: „Ich will diese ersten Jahre wirklich aufsaugen. Wenn meine Tochter erst mal in die Schule kommt, dann war’s das mit dem schönen Leben, dann ist es vorbei.“ Beipflichtendes Gemurmel von links und rechts. Ich sagte nichts, aber nahm die Sätze mit. Solche Aussagen begleiten mich seitdem regelmäßig. Eltern, deren Sorgen im Hinblick auf die bevorstehende Schulzeit schon beginnen, bevor das Kind seinen ersten Zahn vorweisen kann. Gefühle irgendwo zwischen Loslassen, Stolz, Ungewissheit, Machtlosigkeit und dem Wunsch, sein Kind vor allem Unheil dieser Welt zu schützen. In wenigen Wochen wird besagter Sohn nun ein Schulkind – und was soll ich sagen? Ich verstehe euch. Darum wird es Zeit für ein bisschen Mutmacherworte. Denn da wartet auch ganz viel Gutes auf unsere Kinder. Die nächsten Zeilen sind also für euch. Und, naja, ein bisschen auch für mich.
Zuversichtlich sein – gemeinsam freuen
Die Schulzeit als Schreckgespenst bereits in Köpfen von frischgebackenen Eltern zeigt, wie negativ behaftet das Thema Schule für viele einfach ist. Wir erinnern uns wieder an unfaire Lehrkräfte, fiese Mitschüler*innen, gähnende Langeweile, Stillsitzen, Tests und Prüfungen, quälende Hausaufgaben. Und die Vorstellung, dass nun plötzlich unser Kind all dem ausgesetzt werden soll, lässt uns ordentlich nervös werden.
Wir vergessen schnell, wie toll sich Großwerden auch anfühlen kann. Und es gab doch mal eine Zeit, in der wir jeden noch so kleinen Entwicklungsschritt unserer Kinder gefeiert haben. In denen wir Freund*innen, Verwandte und Bekannte mit Handyvideos voller quietschender Entzückungslaute bombardiert haben, wenn der Sprössling ein neues Feature erlangte. Wir haben dem ersten Schritt entgegengefiebert, obwohl wir wussten, dass mit dem Laufen auch das Hinfallen kommt. Wir konnten das erste Wort kaum erwarten, obwohl wir wussten, dass mit dem Sprechen auch Ausdrücke wie „doofe Kacka-Mama“ kommen. Wir haben die erste feste Nahrung zelebriert, obwohl wir wussten, dass mit dem Essen auch das Nörgeln kommt.
„Holen wir uns diesen Spirit zurück, wenn es um den nächsten großen Schritt geht – den Schulstart.“ -
Lasst uns den schönen Dingen entgegenfiebern, obwohl wir wissen, dass da auch Krisen warten. Ihr werdet erleben, wie euer Kind zum Beispiel das Lesen lernt. Wie sich ihm eine neue Welt eröffnet. Wie cool ist das? Ihr werdet sehen, wie es selbstständiger wird. Wie es reift. Wie es vielleicht Freundschaften fürs Leben knüpft. Ihr werdet in erster Reihe sitzen, wenn es bei der Klassenweihnachtsfeier eine Rolle im Bühnenstück übernimmt und damit ein Stückchen wächst.
Eure Kinder brauchen eure Zuversicht. Ein Ort, auf den die eigenen Eltern stets mit Sorge und eventuellen Problemen blicken, weckt auch bei Kindern keine guten Gefühle. Da kann ja was nicht stimmen mit dieser Schule, wenn Mama oder Papa sich darum solche Gedanken machen. Also, focus on the good – it’s there.
Krisen erlauben – Hafen bleiben
Reden wir Klartext – in jeder Schulzeit warten auch Krisen. Zum Glück. Denn wer ohne Hürden und Anstiege stets nur einen geraden Weg läuft, der versäumt zu lernen, mit den Stolpersteinen gut umzugehen. Unfreundliche Lehrkräfte, Streit mit Freund*innen, Schwächen erkennen – all diese Momente werden kommen. Und vielleicht auch deutlich größere Herausforderungen. Aber wisst ihr was?
„Euer Kind wird dabei niemals allein sein. Denn es hat euch als Hafen.“ -
Bei Eltern entsteht schnell die diffuse Angst: „Wenn das eigene Kind erst mal die Schultüren passiert, dann war’s das. Dann krieg ich nichts mehr mit. Dann kann ich nichts mehr tun.“ Ein Gefühl von Machtlosigkeit macht sich breit und darüber vergessen wir schnell, dass wir auch weiterhin die wichtigsten Personen im Leben unseres Kindes sind. Und wenn wir bisher eine stabile, vertrauensvolle Beziehung hatten, so ist die mit all unserem positiven Einfluss nicht plötzlich gelöscht. Natürlich, im weiteren Verlauf des Schullebens wird es auch immer mehr ums Loslassen gehen. Aber das passiert langsam und wir können mitwachsen. Bis dahin machen wir Kakao, um über den Krach mit der Freundin hinwegzutrösten. Oder holen uns die größten Eisbecher, weil eine doofe Note einfach nur eine Note ist und Eis hingegen sehr lecker. Oder hören zu, wenn sich die Ungerechtigkeiten des Schultages Luft machen müssen. Und wir suchen das Gespräch, wenn Probleme so groß werden, dass wir einschreiten müssen.
Beziehungen pflegen
Und das bringt mich direkt zum nächsten Punkt. Dem vielleicht wichtigsten. Die Wahrscheinlichkeit, dass euer Kind grundlegend eine schöne Schulzeit erlebt, steigt immens, wenn alle daran beteiligten Personen respektvoll zusammenarbeiten. Dabei besonders im Blick: das Miteinander von Kind, Eltern und Lehrkraft – von Jesper Juul „das lernende Dreieck“ genannt. Besteht zwischen den einzelnen Komponenten dieses Dreiecks eine grundlegende Harmonie, so wird das Kind auf seinem Lernweg durch ein stabiles Beziehungsnetz getragen. Und das wiederum ist eine fantastische Grundlage, um mit den unvermeidbaren Krisen der Schulzeit gut zurechtzukommen. Und noch während ich diese Worte schreibe, höre ich bereits die prompten „Ja-Abers“. Und das nicht ohne Grund.
Denn in unserem verstaubten Schulsystem wird es Beziehungen nicht leicht gemacht:
- Die so wichtige Beziehung zwischen Lehrkraft und Kind wird immer wieder durch Vorgaben wie strikte Leistungsbewertung, enge Zeitpläne oder starre Themenverpflichtungen gestört.
- Die Beziehung zwischen Eltern und Kind wird herausgefordert. Man denke nur an das leidige Thema Hausaufgaben.
- Und schließlich wäre da die Beziehung zwischen Eltern und Lehrkraft. Die wird einerseits durch die eigenen Erfahrungen, aber vor allem immer wieder durch jede Menge gesellschaftlichen Druck bei gleichzeitig fehlender Wertschätzung auf eine harte Probe gestellt.
Auf uns Eltern ist stets der Scheinwerfer gerichtet, wenn es darum geht, wie wir potenziell unser Kind vermurksen könnten. Für uns Lehrkräfte gilt das auch. Wir sind bequeme Schuldige. Wir tragen viel Last. Und genau die ist es, die uns zu zwei Parteien macht. Die uns selbst zu irrationalen Schuldzuweisungen verleitet, weil unsere Kräfte endlich sind und das Übernehmen von noch mehr Verantwortung manchmal einfach nicht mehr möglich scheint.
Bevor ihr jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagt, kriegen wir mal schnell die Kurve. Denn Beziehungen werden von Menschen gelebt. Und diese Menschen seid in diesem Fall ihr.
„Die Beziehung zu eurem Kind habt vor allem ihr in der Hand.“ -
Ja, auf manches habt ihr weniger Einfluss, aber wie ihr mit eurem Kind sprecht, wie viel Bedeutung ihr Noten gebt, welchen Ausgleich ihr zum Schulleben schafft, das dürft ihr selbst gestalten. Ihr könnt da sein. Und auch Stimme sein. Wege suchen, wenn das Hausaufgabenthema nicht mehr tragbar ist. Und auch wenn es nicht für jedes Problem eine Lösung geben wird, so sieht euer Kind doch: „Ich kann meinen Eltern alles erzählen. Sie hören zu. Sie stehen für mich ein.“ Und das ist ein sehr schönes Gefühl, das sie durchs Leben tragen wird.
Wäre da noch die Beziehung der Lehrkraft zu eurem Kind. Und die ist vor allem erst mal eines – deren Beziehung. Kommt euer Kind gut mit seiner Lehrkraft klar, berichtet es positiv und akzeptiert sie als wichtige Bezugsperson, so solltet ihr das respektieren. Das heißt nicht, dass ihr mit allem einverstanden sein müsst oder nicht euren eigenen Eindruck haben dürft. Aber es bedeutet, dass euch klar sein sollte, dass euer Kind in emotionale Zwickmühlen geraten kann, wenn ihr immer wieder kritisch und negativ auf seine Bezugsperson reagiert. Wägt also gut ab, wann es für euch wirklich unerlässlich ist, aktiv zu werden.
Und damit wären wir auch schon beim Knackpunkt – dem Miteinander von Lehrkraft und Eltern. Ein sensibles Feld. Aber ich glaube fest an die Kraft von wertschätzender Beziehungspflege und guter Kommunikation. Und das Schöne: 50 Prozent davon liegen auch hier bei euch. Ja, die anderen 50 Prozent liegen natürlich bei der Lehrkraft, aber hier sei euch versichert, Lehrkräfte haben selbst ein großes Interesse daran, gut mit den Eltern ihrer Schüler*innen auszukommen. Denn es macht unseren Arbeitsalltag auch um einiges schöner und leichter.
Hier also ein paar schnelle Tipps für den Aufbau einer positiven Eltern-Lehrkraft-Beziehung (beidseitig nutzbar, versteht sich).
- Positive Gesprächsanlässe nutzenWann treffen wir in der Regel aufeinander? Richtig, wenn’s was gibt. Bei Problemen. Wenn gehandelt werden soll. Wenn’s nicht rundläuft. Und eine Beziehung, die überwiegend aus solchen Gesprächen besteht, bringt zwangsweise so ihre Schwierigkeiten mit sich. Also erinnert euch regelmäßig daran, auch darüber hinaus zu kommunizieren. Der letzte Ausflug hat eurem Kind total Spaß gemacht oder das Bühnenstück auf der Klassenfeier war total schön ausgewählt? Meldet das einfach mal zurück. Eure eher zurückhaltende Schülerin hat spontan eine geniale Gruppenpräsentation gezeigt? Immer eine kleine Notiz an die Eltern wert.
- Expertise anerkennenBesonders im Grundschulbereich verbringt die Lehrkraft viele Stunden mit eurem Kind. Und sie hat Erfahrung und Fachwissen. Seid also prinzipiell offen für ihre Beobachtungen und geht grundlegend davon aus, dass sie mit guter und durchdachter Intention handelt und berät.Ähnliches gilt andersrum – niemand kennt das Kind so gut wie seine Eltern und auch diese Expertise sollte ihren Platz finden. Es ist zum Beispiel völlig erlaubt, auch mal die Eltern um Rat zu fragen.Fragen können überhaupt in Gesprächen für wertschätzendere Töne sorgen: „Kennen Sie das von zuhause?“, „Wie lösen Sie das zuhause? Vielleicht kann ich das hier auch nutzen.“ Oder auf Elternseite: „Haben Sie einen Rat für uns?“, „Wie sehen Sie das?“, „Was sind denn die Vorteile dieser Methode?“
- Über Gesprächsanlass informierenKlingt banal, wirkt aber wahre Wunder. Wenn ihr das Gespräch sucht, erklärt, worum es dabei gehen wird. So kann sich euer Gegenüber vorbereiten und geht stabiler und sicherer ins Gespräch. Außerdem verheddert es sich gar nicht erst in irgendwelchen negativen Gedanken aus Angst, was da wieder jetzt kommen mag.
Notfalls Konsequenzen ziehen
Auch wenn ich seit Jahren die Erfahrung mache, dass durch gutes Miteinander viele Probleme aus dem Weg geräumt werden können oder gar nicht erst entstehen, kann es in Einzelfällen dazu kommen, dass eine bestimmte schulische Situation für euer Kind und eure Familie nicht mehr tragbar ist. Macht euch bewusst, dass ihr auch dann nicht machtlos seid und dass euer Kind nicht jahrelang in dieser Situation verharren muss. Es gibt Auswege: Klassenwechsel, Schulwechsel, Hilfe von außen. Natürlich wünschen wir uns nicht, solche Wege gehen zu müssen, denn sie sind in jedem Fall anstrengend. Aber es hilft zu wissen, dass es Möglichkeiten gibt. In der hoffnungsvollen Zuversicht, dass wir sie nicht brauchen.
Schule ist nicht alles – Ausgleich schaffen
Schule wird einen großen Stellenwert im Leben eures Kindes einnehmen. Aber da gibt es noch viel mehr: die geliebte Sportart, Musik, Hobbys, Urlaube, Freundschaften, Freibad, bei Oma und Opa schlafen, Feste, Familie, Nichtstun, Filmabende, Für-immer-Sommerferien-Gefühle, Haustiere und jede Menge gewöhnlichster Alltag – so vieles, das Ausgleich bietet, das die Sache rundmacht, das Stärken jenseits schulischer Leistungen bewusst macht, das genauso Erinnerungen schafft.
Ich habe beschlossen, keine Angst vor der Schulzeit meines Sohnes zu haben. Ich möchte das Großwerden feiern. Wie damals. Mit Handyvideos und aller Euphorie. Denn ich vertraue auf mich als Hafen und auf unsere Beziehung. Ich vertraue auf engagierte Lehrkräfte, die diesen Weg begleiten. Und ich vertraue auf mein starkes Kind. Alles andere zeigt die Zeit.