Elternsein & Geburt
Jetzt mal gut zuhören:
Der Klapperstorch hat Flugverbot - Anna Schatz schreibt über ihren unerfüllten Kinderwunsch und was sie sich von Müttern wünscht.
von Anna Schatz - 19.08.2019
Diese Woche erscheint das Buch "Wenn ich noch eine glückliche Mama sehe, muss ich kotzen - mein Leben mit einem unerfüllten Kinderwunsch". Die Autorin Anna Schatz hat für uns exklusiv einen Text geschrieben, in dem sie von ihren Erfahrungen erzählt und was sie sich von uns Müttern im Umgang wünscht. Denn der kann sehr schnell ungewollt unsensibel werden. Liebe Anna, ich danke dir sehr für diesen ehrlichen und bewegenden Text und werde mir deine Hinweise sehr zu Herzen nehmen und deine Botschaft weitertragen. Alles Liebe, Steffi
Vor kurzem war ich Gast auf einer Einweihungsparty. Reihenhaussiedlung am Stadtrand, modern als Townhouse bezeichnet. Aber die moderne Bezeichnung änderte nichts an der verstaubten Gepflogenheit eines Gastes, dem frisch eingezogenen Ehepaar einen Aufsteck-Klapperstorch für den Vorgarten zu schenken.
Ich bin 37, weiblich, kinderlos – und solche Geschenke lassen mich innerlich kotzen.
Wer bin ich denn, das mich dieses Storchenthema so aufregt? Es ist ganz simpel: Ich bin die Zielgruppe aller Kinderwunschprodukte in Personalunion. Ich, Anna Schatz, gelernte Buchhändlerin und in der kritischen Phase der Kinderlosigkeit angekommen. Seit ich mit 26 Jahren meine erste Fehlgeburt hatte, möchte ich Mutter werden. Aber knappe 12 Jahre später habe ich nur eines erreicht: Ungestillte Sehnsucht.
Wenn es nicht klappt mit dem Klapperstorch, dann kann das eine Vielzahl von Gründen haben. Es gibt jedoch nur zwei Positionen, auf die man dabei setzen kann: Eine Seite will kein Nest bauen, und die andere Seite hat ein Nest, aber leider keinen Bewohner dafür. So wie ich. Dreimal war ich bisher schwanger, und dreimal habe ich das Kind verloren, einmal erst nach sechs bis sieben Wochen Schwangerschaft, da war das mit der Vorfreude schon ziemlich weit fortgeschritten.

„Die erste Fehlgeburt, die hat mich wachgerüttelt.“ -

Ich war damals Buchhändlerin, fast verheiratet, habe in einem kleinen Haus hinter dem Deich der Elbe gewohnt und hätte das passende Kinderzimmer gehabt. Nur von dem Kinderwunsch, da war noch nicht so richtig etwas zu spüren. Aber dann, als ich beim Arzt saß und erfuhr, dass ich soeben ein Kind verloren hatte, dessen Existenz mir nicht bewusst gewesen war – da änderte sich alles. Mit der Fehlgeburt wurde die Sehnsucht nach dem eigenen Kind geboren.
Je älter ich werde, desto mehr merke ich, wie ich mich einem gesellschaftlich genormtem Verfallsdatum nähere. Die Kinderfrage wird gestellt, sobald man mit dem Überschreiten der 30 die inoffizielle Mutterschaftsgrenze überschritten hat. Ab 30 müsste man wissen, ob man Kinder will – und perfekterweise bereits alles im Leben soweit geordnet haben, dass der Klapperstorch nur noch auf leisen Schwingen zu landen braucht. Dabei gibt es doch durchaus Frauen, die keine Kinder wollen, und andere wollen, können aber nicht - beiden Seiten gemeinsam ist, dass Frauen sich dafür rechtfertigen müssen. Immer. Es sei denn, man antwortet auf die Frage „Hast du Kinder?“ mit „Ja“. Dann wird genickt, das Gespräch geht weiter. Die Einweihungsparty-Gäste machten keine Ausnahme – sobald eine Frau zwischen 30 und 45 die Kinderfrage mit „Nein“ beantwortete, wurde zurückgefragt: „Warum nicht?“
Das WARUM geht doch niemanden etwas an! Ich frage doch auch keine Mutter, warum sie Kinder hat. Wobei, es gibt einige, da frage ich mich das schon, aber ich stelle de Frage nicht. Überdies habe ich auch noch nie gehört, dass ein Mann nach dem WARUM gefragt wurde. Aber Frauen im gebärfähigen Alter sind gesellschaftlich anscheinend zur Rechtfertigung verpflichtet. Wenn sie keine Kinder wollen, müssen sie das erklären. Und wenn sie welche wollen, aber trotzdem keine haben, will auch jeder sofort wissen, warum es bisher mit dem Nachwuchs nicht geklappt hat.
Die meisten Menschen geben sich ja nicht mit „Es klappt leider nicht“ als Antwort zufrieden – nein, sie wollen das Problem lösen! Das Problem was Ärzte nicht lösen können – aber der Tipp, doch mal den „Klapperstorch-Tee“ zu trinken, soll jetzt sofort zur Schwangerschaft führen, ja?! Oder die Durchführung seltsamer Fruchtbarkeitsrituale von Völkern aus dem Amazonas? Ich habe ja bereits eine ganze Menge versucht. Hormonstatus überprüfen lassen, Ovulationstests in Großpackungen gekauft, unzählige Ratgeber gelesen, mich von meinem Ehemann scheiden lassen, meine Ernährung umgestellt – alles, was frau eben so tut, wenn sie die optimalen Bedingungen für den Nachwuchs schaffen will.
Bevor ich den nächsten Schwangerschaftsversuch unternahm, habe ich erstmal mein Leben geordnet – mich beruflich verändert und Angehörige gepflegt – ich mag es, für Menschen da zu sein. Dann habe ich einen wunderbaren Mann kennengelernt, und wir sind direkt nach meinem 35. Geburtstag schwanger geworden. Kurz vor Weihnachten verlor ich das Baby – und damit eine ganze Weile auch alle Sonne aus meinen Gedanken. Ich war eine Weile im Krankenhaus und eignete mir verschiedene verhaltenstherapeutische Techniken an, um mir in Momenten großer Traurigkeit selbst eine Stütze zu sein.

„In dieser schlimmen Zeit habe ich angefangen, wohlgemeinte Ratschläge abgrundtief zu verachten.“ -

„Entspann Dich, dann klappt das schon?!“ Das hilft niemandem. Und auch nicht die 1000 Fragen nach dem Nachwuchs auf Familienfeiern. Sobald mein Freund als „Es ist was Ernstes“ im Familienkreis angenommen worden war, kamen auch schon die ersten Fragen nach dem Nachwuchs. Für unsere Verbundenheit ist das kein Problem, da wir uns gegenseitig genug respektieren, um keine Angst vor offen gezeigter Trauer oder Wut zu haben. Aber die Fragen und Ratschläge, die nerven. Und je länger der Himmel frei von Klapperstörchen bleibt, desto aufdringlicher und bissiger werden die Kommentare.
Ich finde das unfair – und unsensibel. Sensible Fragen sind Fragen, die man nur stellt, wenn ein Vertrauensverhältnis hergestellt wurde. „An wem liegt es denn, an Dir oder Deinem Mann?“ ist auch so eine Frage, die sofort Brechreiz auslöst. Der Fragesteller kann doch nicht wissen, welchen wunden Punkt er da gerade trifft! Daher sollten sich neugierige Reihenhaus-Einweihungsgäste bitte dreimal gut überlegen, ob solche Fragen angebracht sind.
Manchmal verliere ich bei solchen Ratschlägen mit esoterischen Einschlägen etwas die Contenance und feuere mit Ironie zurück, aber meistens werde ich still. Keine Kinder zu haben, obwohl man gerne Mutter wäre, ist eine traurige Sache. Und die fehlende Sensibilität mit dem Thema bei der gleichzeitigen Tabuisierung der offen ausgesprochenen Trauer macht den Umgang mit der Kinderlosigkeit oft ganz schön schwer. Dabei bin ich ja nicht alleine damit! Es gibt so viele Frauen, die unter der Sehnsucht leiden, die wehmütig den eben eingeschulten ABC-Schützen hinterherschauen und zuhause die ungelenk gemalten Kinderbilder am Kühlschrank vermissen.
Natürlich ist der Umgang mit so einem Thema schwierig, besonders in SmallTalk-Atmosphären wie Reihenhauspartys . Wenn beim Gespräch der wunde Punkt getroffen wird, dann finde ich es immer am Besten, wenn mein Gegenüber mit gesunder Empathie reagiert. Also, kein Lösungsvorschlag, kein Themenwechsel, kein Trösten mit Plattitüden - sondern einfach ein "Ja, das ist wirklich traurig und tut mir sehr leid für dich." Danach liegt der Ball dann bei mir. Wenn ich darüber reden möchte, kann ich es tun - wenn ich lieber von etwas anderem sprechen will, sollte ich das auch sagen oder tun.
Wir Kinderwunsch-Frauen brauchen eine Lobby. Wir müssen sagen dürfen was wir fühlen – sofern wir das wollen. Und wir sollten es sagen dürfen, ohne uns rechtfertigen zu müssen. Die Entscheidung für oder gegen Kinder darf jeder für sich selbst treffen – und das „warum“ es mit dem Klapperstorch nicht klappt, ist reine Privatsache und schlimm genug für die Betroffenen. Empathie ist etwas, was sich andere Menschen im Umgang mit Kinderwunsch-Frauen – und Männern – durchaus aneignen sollten. Wir sind nicht zur Auskunft verpflichtet – und wir bestehen auch nicht nur aus dem Kinderwunsch. Kinderlose Frauen zwischen 30 und 45 sind keine Nicht-Mütter – es sind eigenständige Wesen, die nicht von der Gesellschaft in eine „Abwarte-Position“ gedrängt werden sollten, bis sie das Mütter-Verfallsdatum überschritten haben.
Diese Abwarte-Position, die lebe ich vollkommen aus. Das bedeutet: Ich möchte immer noch ein Kind. Aber ich versuche, mich von Ratschlägen fernzuhalten. Wenn eine Freundin mit Kind mich einlädt, überlege ich mir genau, ob das heute gut für mich ist oder nicht – und wenn nicht, dann sage ich ab. Das kurze schlechte Gewissen wegen der Absage ist bei weitem nicht so schlimm wie eine Wehmutswoche, weil Traurigkeit Oberwasser bekommt. Da ich schwanger werden kann, aber es einfach nicht bleibe, kommen einige medizinische Möglichkeiten nicht für mich infrage. Und ehrlich gesagt: ich möchte auch nicht ALLES versuchen. Die Hoffnung, die Enttäuschung, das Warten – ich weiß nicht, wie oft ich das aushalten könnte. Mein Bruder hat mit seiner Frau nach 10 Jahren ungewollter Kinderlosigkeit endlich durch in vitro eine wunderbare Tochter bekommen – aber die Zeit bis dahin, die war schlimm.
Falls eine Mutter sich jetzt angegriffen fühlt – keine Sorge. Ich habe nichts gegen euch, ich bin vermutlich nur etwas neidisch. Auf eure Sorgen, auf euer Glück und auf eure Unantastbarkeit. Ihr müsst euch bestimmt auch unsensible Fragen nach Geburtsvorgängen anhören – aber immerhin könnt ihr die rechtfertigungsbefreit beantworten. Was mich tatsächlich wütend macht, ist die Adoptionsgesetzgebung. Ich arbeite freiberuflich, bin nicht verheiratet – ich habe keine Chance, ein Kind zu adoptieren. Selbst wenn mein Freund mich jetzt vom Fleck weg heiraten würde – bis der Amtsschimmel im Stall wäre, wären wir beide zu alt für eine Adoption. Das ist wirklich, wirklich schade und gehört geändert!
Natürlich habe ich Freiheiten, die Mütter nicht haben. Ich kann zum Beispiel morgens spontan mit dem Hund an die Nordsee fahren und dort den ganzen Tag aufs Wasser gucken. Oder ich gehe abends ins Theater und gebe mein Geld für teure Logenplätze aus. Die Kindersehnsucht kommt eben immer mit – sie ist ein Teil meines Lebens. Sie macht mich jedoch nicht blind dafür, wie viel Glück ich in meinem Leben habe, wie viele schöne Momente ich in Erinnerung haben darf. Wenn ich mal wieder traurig bin und denke, mit Kind wäre meine Welt bunter, dann halte ich mich von Reihenhäusern und Nachfrage-Gästen fern. Das ist einfacher, als in Erklärungsnot zu kommen. Oder ich schreibe ein Buch darüber, was alles so passieren kann, wenn der Klapperstorch die Landebahn nicht findet.
Fotograf - Denisse Leon

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